Wo die Kohle herkommt: Wie das Grosskapital einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet

Wenn eine umweltfreundliche Wirtschaft zur Realität werden soll, dann brauchen wir ein umweltfreundliches Finanzsystem.

Die treibenden Kräfte und Akteure der globalen Finanzwelt werden wohl keinen Sympathiewettbewerb mehr gewinnen. So beschrieb schon 1928 kurz vor dem Crash an der Wall Street ein Direktor der Bank of England die Investmentbanken mit den berühmten Worten "ersonnen im Frevel und geboren in Sünde".

Die Bezeichnungen, die man heute für sie hat, sind wohl noch weit weniger schmeichelhaft.

Doch ob man sie nun liebt oder hasst, es lässt sich kaum leugnen, dass Banken und andere Kapitalgeber eine mächtige Triebkraft für die Entwicklung der Gesellschaft sind.

Ohne Geldgeber hätten wir keine Bahnnetze, keine Elektrizität, keine Telefone und kein Internet.

Für Finanzexperten wie Andrew Voysey ist es wichtig, das im Hinterkopf zu behalten, während die Menschheit weiter daran arbeitet, ihr nächstes Grossprojekt abzuschliessen: die Schaffung einer umweltfreundlichen Wirtschaft.

Dahinter steht eine einfache Logik, sagt der Director of Sustainable Finance am Institute for Sustainability Leadership der Universität Cambridge (CISL). Wenn man "Big Finance" nicht mit an Bord holt, wird eine umweltfreundliche Wirtschaft nie zur Realität werden.

"Wenn wir eine wirklich nachhaltige Wirtschaft aufbauen wollen, dann müssen wir die grossen Finanzinstitute daran beteiligen," so Voysey. "Es müssen Billionen von Dollar an Investitionen umgeleitet werden. Das bedeutet, dass wir nicht darum herumkommen werden, gleichzeitig ein umweltfreundliches Finanzsystem aufzubauen."

Wenn man den Bedarf an flüssigen Mitteln bedenkt – manchen Schätzungen zufolge müssen in den nächsten zwei Jahrzehnten private Anlagen in Höhe von 2,5 Billionen US-Dollar pro Jahr umgeschichtet werden – dann mutet es etwas seltsam an, dass Banken und Investoren bei den Bemühungen, die Wirtschaft auf nachhaltige Füsse zu stellen, bislang nur eine relativ unbedeutende Rolle spielen. Wie Voysey feststellt, wird die Debatte auch nach zwei Jahrzehnten der Klimawandel- und Umweltpolitik immer noch von den staatlichen Umwelt- und Energieministerien dominiert.

Aber das könnte sich bald ändern. Auf dem G20-Gipfel in China im November 2016 stellten die führenden Volkswirtschaften der Welt das Thema "Green Finance" erstmals in den Mittelpunkt ihrer Nachhaltigkeitsstrategie.

Für Voysey, dessen Forschungsergebnisse am CISL in die Überlegungen der G20-Finanzminister einflossen sind, markiert dies einen entscheidenden Wendepunkt.

"Es ist bezeichnend, dass die Arbeit der G20 zur Schaffung eines grünen Finanzsystems dieses Mal nicht von den Umweltministern angeführt wurde. Hier hatten Finanzminister und Notenbankgouverneure die Aufsicht. Das sendet ein sehr deutliches Signal. Es zeigt, dass das Thema "Green Finance" sehr ernst genommen wird", erklärt er.

Was bedeutet die Ökologisierung des Finanzsystems in der Praxis? Laut dem Modell von CISL muss sich der erforderliche Wandel in drei Teilen vollziehen.

Finanzielle Innovation

Zunächst müssen Banken und andere Akteure der Finanzwelt mehr Einfallsreichtum entwickeln, wenn es darum geht, Finanzmittel an Umweltprojekte zu kanalisieren. Eine beliebte und kreative Lösung, die eine Aussicht auf Kapitalrenditen mit dem Umweltschutz kombiniert, sind sogenannte "grüne Anleihen". Diese verzinsten handelbaren Wertpapiere sind im Wesentlichen Darlehen, die von Anlegern gewährt werden, um beispielsweise den Bau von Wind- und Solarparks und nachhaltigen Produktionsstätten zu finanzieren. Sie sind besonders bei grossen institutionellen Anlegern wie Rentenfonds beliebt, die unter grossem Druck stehen, verantwortlich zu investieren. Der Markt verzeichnet ein explosives Wachstum. Man rechnet damit, dass dieses Jahr Anleihen dieser Art im Wert von 130 Milliarden US-Dollar gehandelt werden. Im Jahr 2013 waren es 23 Milliarden US-Dollar.

"Das sind sehr positive Zeichen", erklärt Voysey. "Es zeigt, dass wenn erst einmal die Strukturen gefunden sind, über die Anleger ihr Kapital einem guten Zweck zuführen können, die Investitionen sehr schnell fliessen."

Viele Länder nutzen "Green Bonds" bereits zur Finanzierung unterschiedlicher Initiativen zur Steigerung der Energieeffizienz. Der bei weitem grösste Emittent ist China. Dort wird mit Verkäufen von "Green Bonds" im Wert von bis zu 460 Milliarden USD gerechnet. Darüber wird in Technologien investiert, die den Energieverbrauch von Wirtschaft und Privathaushalten im nächsten Jahrzehnt wesentlich senken könnten.

In Mexiko werden über "grüne Anleihen" und "grüne Darlehen" von staatlichen Behörden die Installation energiesparender Beleuchtungskörper im öffentlichen Raum und der Ersatz alter Haushaltsgeräte mit hohem Stromverbrauch finanziert. Auch in Australien gibt es ein ähnliches Programm, in dem neues Kapital für mehr Energieeffizienz in den lokalen Verwaltungen, im Gesundheitswesen und in der Landwirtschaft eingesetzt wird.

Wenn man "Big Finance" nicht mit an Bord holt, wird eine umweltfreundliche Wirtschaft nie zur Realität werden.

Die Umweltkosten der wirtschaftlichen Tätigkeit anerkennen

Ein weiteres Element nachhaltiger Finanzierung ist laut CISL, dass Unternehmen - finanzielle und nicht-finanzielle – ein klares Verständnis von den ökologischen Auswirkungen ihrer wirtschaftlichen Aktivität entwickeln. Derzeit hat sich die Weltwirtschaft dem Betriebsmodell "Produzieren, nutzen und entsorgen" verschrieben, das auf einer viel zu eng gefassten Sichtweise von den Kosten der wirtschaftlichen Tätigkeit gründet.

Das heisst auch, dass die Preise, die Anleger für Wertpapiere zahlen, also für Aktien oder Anleihen, die Interaktion der Unternehmen mit ihrer Umwelt im weiteren Sinne nicht berücksichtigen. Ein wirklich nachhaltiges System, so Voysey, würde diese wechselseitigen Abhängigkeiten quantifizieren, sowohl positive als auch negative, und dafür sorgen, dass sie bei der Bewertung von Wertpapieren für Anlagezwecke berücksichtigt werden.

Wenn es darum geht, die wahren Kosten der Geschäftstätigkeit zu erfassen, scheint plötzlich jeder ungewöhnliche Entdeckungen zu machen

Es gibt ermutigende Anzeichen dafür, dass Banken, Anleger und Regulierungsbehörden sich in diese Richtung bewegen.

In einigen Ländern verlangen Banken jetzt von ihren Firmenkunden, bestimmte Umweltstandards einzuführen, wenn man miteinander ins Geschäft kommen will. So prüft zum Beispiel die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC), ob potenzielle Kunden gegen die Luftreinheitsvorschriften im Land verstossen. Französische Banken haben begonnen, ähnliche klimabezogene Stresstests durchzuführen. Daneben arbeiten derzeit über 30 Börsenplätze weltweit daran, Anlegern die Umweltbilanzen der dort notierten Unternehmen zur Verfügung zu stellen.

"Wenn es darum geht, die wahren Kosten der Geschäftstätigkeit zu erfassen, scheint plötzlich jeder ungewöhnliche Entdeckungen zu machen", sagt Voysey.

Langfristiges Denken verankern

Diese Anstrengungen sind jedoch vergebens, wenn Banken, Investmentgesellschaften und ihre Partner nicht lernen, eine langfristige Perspektive einzunehmen. Es waren die Finanzinstitute, die in den 1980er Jahren eine Kultur der wirtschaftlichen Kurzsichtigkeit hervorbrachten, also sind sie auch am besten in der Lage, diese Kultur wieder abzuschaffen.

CISL setzt sich für eine Politik ein, die mehr Verantwortung und langfristig orientierte Entscheidungen in der gesamten Beteiligungskette fördert. Voysey und sein Team argumentieren, dass wenn die Aktionäre Verfahren einführen, die die langfristige Leistung der Führungskräfte einer Gesellschaft honorieren – sowohl in finanzieller als auch in ökologischer Hinsicht – das Finanzsystem eher zu einem Schutzpatron für unseren Planeten werden kann. Einige der grössten und einflussreichsten institutionellen Anleger der Welt beginnen damit, diesem Ansatz zu folgen. Der niederländische Pensionsfonds PFZW und der staatliche Pensionsfonds von Norwegen haben bereits begonnen, ihre Anlagen in fossile Brennstoffe radikal zu reduzieren. So zwingen sie die Unternehmen in der Branche, stattdessen in Produkte mit sauberer Energie zu investieren. Darüber hinaus hat eine Gruppe von Investoren und Vermögensverwaltern, die mit dem CISL zusammenarbeitet – die Investment Leaders Group – jüngst veröffentlicht, was man dort für die wesentlichen Bestandteile "langfristiger, nachhaltiger Anlagemandate" hält. Umfragen haben zudem ergeben, dass inzwischen über 90 Prozent der Investmentgesellschaften ESG-Kriterien, also ökologische und soziale sowie Aspekte der Corporate Governance in ihre Entscheidungsfindung einfliessen lassen, weil sie davon ausgehen, dass sich so höhere Renditen erwirtschaften lassen.

Die Ökologisierung des Finanzsystems ist inzwischen in das allgemeine Denken übergegangen und wird als wichtiger Bestandteil der Zielsetzung angesehen, wirtschaftliches Wachstum im Rahmen der uns durch das ökologische System auferlegten Grenzen zu erreichen

Diese Entwicklung steht natürlich noch ganz am Anfang. Die Bemühungen, das Finanzsystem zu einem nachhaltigen Modell zu wandeln, werden unweigerlich dadurch komplizierter, dass die Banken in vielen Teilen der Welt immer noch die Auswirkungen der Finanzkrise von 2008 spüren. Da jedoch die Regulierungsbehörden und grossen Investoren beginnen, das Thema Nachhaltigkeit ernst zu nehmen, ist Voysey zuversichtlich, dass seine Vision bald zur Realität werden könnte. "Die Ökologisierung des Finanzsystems ist inzwischen in das allgemeine Denken übergegangen und wird als wichtiger Bestandteil der Zielsetzung angesehen, wirtschaftliches Wachstum innerhalb der uns durch das ökologische System auferlegten Grenzen zu erreichen"