Ein frischer Wind

Könnte die Offshore-Windenergie einer neuen Energiebranche in den USA endlich Auftrieb verleihen?

Pünktlich zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli fallen auf Block Island, einer abgelegenen 1.000-Seelen-Gemeinde vor der Küste Neuenglands in den USA, jedes Jahr 20.000 Besucher ein. In den letzten Jahren brachte der Zustrom das dieselbetriebene Elektrosystem der Insel regelmässig an seine Belastungsgrenze – so sehr, dass Stromausfälle schliesslich ebenso fest zu den Feierlichkeiten gehörten wie das traditionelle Feuerwerk und das Steak vom Grill. Doch dieses Jahr „gab es absolut keine Probleme mit dem Strom“, sagt Jessica Willi, geschäftsführende Direktorin des Tourismusrats von Block Island.

Seit Mai 2017 wird Block Island nahezu vollständig von fünf riesigen Windrädern mit Energie versorgt, jedes davon 50 Meter tief in den Grund des Atlantischen Ozeans vor der Küste des Bundesstaates Rhode Island gerammt. Mit einer Kapazität von 30 Megawatt ist der Windpark von Block Island verglichen mit Anlagen auf dem Festland ein Winzling: Das Alta Wind Energy Center in Kalifornien beispielsweise hat eine Leistung von 1.548 Megawatt. Doch seine Bedeutung für die Windenergiebranche ist enorm. Denn die fünf Windräder mit ihren 73 Meter langen und 26 Tonnen schweren Rotorblättern verkörpern den ersten Offshore-Windpark in amerikanischen Gewässern.

Und mehrere Bundesstaaten an der Ostküste der USA haben sich bereits für den Bau des nächsten Offshore-Windparks angemeldet. New York hat ein Projekt mit 15 Anlagen vor Long Island genehmigt, Massachusetts hat kürzlich einen Antrag für den Bau von mehr als 65 Anlagen südlich von Martha‘s Vineyard gestellt, und die Energiebehörde von Maryland hat für zwei Windparks mit insgesamt 77 Anlagen vor der Küste von Ocean City grünes Licht gegeben.

„Die Branche hat ziemlich umfangreiche und unumkehrbare Massnahmen ergriffen, um ihre eigene Gesundheit und Zukunftsfähigkeit sicherzustellen“, sagt Walt Musial, Leiter für Offshore-Windenergie am National Renewable Energy Laboratory in Golden, Colorado. „Die Grundlagen für einen Markt sind inzwischen gelegt.“

Die Geschäftsmöglichkeiten in den USA – dem zweitgrössten Stromerzeuger und -verbraucher der Welt – haben die Aufmerksamkeit internationaler Windenergieunternehmen geweckt. Grosse Offshore-Projektentwickler wie DONG Energy aus Dänemark und Statoil aus Norwegen haben sich jenseits des Atlantiks niedergelassen und ihre Technologien, ihr Know-how, mehr Kapital und günstigere Finanzierungskonditionen mitgebracht.

Vor den USA liegt jedoch noch ein weiter Weg, wollen sie zu Europa aufschliessen – wo nach Jahrzehnten erheblicher wirtschaftlicher und regulatorischer Förderung durch die Regierungen des Kontinents nun Verträge für Projekte abgeschlossen werden, die nach Prognosen der Entwickler auch ohne steuerliche Subventionen Strom aus Kernkraft oder Kohle preislich Konkurrenz machen können.

Problempunkt Kosten

Auf Europa entfallen aktuell 88 Prozent der weltweiten Offshore-Windenergiekapazitäten: In den Hoheitsgewässern von 10 Ländern sind dort in mehr als 80 Windparks insgesamt über 3.500 Windkraftanlagen am Netz – die älteste wurde 1991 vor der dänischen Küste installiert. Die Nächsten in der Rangliste sind China, Japan und Südkorea. Nach den USA muss man dagegen lange suchen.

Doch das US-amerikanische Office of Energy Efficiency & Renewable Energy betont, dass die amerikanischen Gewässer über ein technisches Potenzial von mehr als 2.000 Gigawatt Strom aus Offshore-Windenergie verfügen, was ungefähr das Doppelte dessen ist, was das Land derzeit bei Berücksichtigung aller Energiequellen zusammen an Kapazitäten zu bieten hat. Wie viel dieses Potenzials tatsächlich ausgeschöpft werden kann, muss sich zeigen. Hinzukommt, dass der gegen erneuerbare Energien gerichtete Kurs der Trump-Regierung den Fortschritt im Bereich der Windkraft und anderer umweltfreundlicher Energiequellen verlangsamen könnte.

Wie in einem Bericht von McKinsey vom Mai 2017 angemerkt wird, dominiert Europa heute den weltweiten Offshore-Windenergiesektor dank „einer zunehmend ausgereiften Lieferkette, eines hohen Masses an Fachkompetenz und eines starken Wettbewerbs“. Wie kläglich schneiden im Vergleich dazu die USA ab, die für ihre Windenergieprojekte immer noch Unterstützung aus Übersee benötigen.

So musste Deepwater Wind für den Bau der Windkraftanlagen vor Block Island beispielsweise ein norwegisches Errichterschiff leasen, was erklärt, warum das Block-Island-Projekt fast 10 Millionen $ je Megawatt Leistung gekostet hat – zehnmal mehr als vergleichbare Projekte in Europa und rund fünfmal so viel wie ein Onshore-Windpark in den USA. Kein Wunder also, dass Offshore-Windenergieprojekte in den USA weiter auf staatliche Subventionen und Steuervergünstigungen angewiesen sind.

Möglicherweise sind diese öffentlichen Subventionen jedoch nur nötig, um der Branche auf die Sprünge zu helfen. „Wenn politisch oder in anderer Form die Entscheidung getroffen wird, die Offshore-Windkraft spürbar zu fördern, dann gibt es keinen Grund, warum Kostensenkungen in der Grössenordnung, wie wir sie in Europa gesehen haben, nicht auch in den USA möglich sein sollten“, so Ryan Wiser, Forscher im Bereich Energiepolitik am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien.

Wiser hat eine Befragung unter 163 weltweit führenden Experten für Windenergie durchgeführt. Das einhellige Echo: Höhere Kapazitäten und andere technische Verbesserungen in Kombination mit günstigeren Finanzierungskonditionen und Skaleneffekten könnten innerhalb von 15 Jahren zu einer Senkung der Gesamtkosten der Offshore-Windenergie um mindestens 30 Prozent führen.

Vergleichbare Kosteneinsparungen erwarteten die Experten auch bei schwimmenden Offshore-Windkraftanlagen. Bei dieser Technologie müssen die Plattformen, auf denen die Anlagen installiert sind, mit riesigen Ankern und Kabeln im Meeresgrund verankert werden. Ein solches Vorgehen wäre an der Westküste der USA nötig, wo der Festlandsockel so steil abfällt, dass die Türme der Anlagen nicht direkt in den Meeresgrund getrieben werden können. Schwimmende Plattformen stecken zwar noch in den Kinderschuhen, doch „sie sind definitiv eine Technologie mit Potenzial“, sagt Wiser.

Doch eins nach dem anderen

Ursprünglich sollte Block Island gar nicht Heimat des ersten Offshore-Windparks der westlichen Hemisphäre werden. 2001 stellten Projektentwickler den Plan für einen Park mit 130 Windkraftanlagen im Gebiet von Nantucket Sound vor Cape Cod vor. Doch nach mehr als 10 Jahren öffentlicher Proteste, teurer Rechtsstreitigkeiten, staatlicher Hürden, endloser Umweltstudien und anderer Probleme waren sich die meisten Beteiligten einig, dass das Energieprojekt Cape Wind keine Zukunft hat.

Was hat Deepwater Wind also besser gemacht als die Entwickler von Cape Wind?

Zunächst einmal war das Deepwater-Projekt sehr klein und die Windkraftanlagen wurden deutlich weiter von der Küste entfernt aufgestellt, als dies bei Cape Wind vorgesehen war. Von Block Island aus sind die knapp 5 Kilometer entfernten Anlagen zwar sichtbar, Betrachtern auf dem Festland von Rhode Island erscheinen sie jedoch nur als winzige Punkte am Horizont. Das war wichtig, um Klagen über eine entstellte Meereslandschaft vorzubeugen.

Ausserdem hat Deepwater von Beginn an lokale Interessenvertreter einbezogen. „Letztlich kommt es bei Offshore-Windparks darauf an, dass die Projektentwickler bereit sind, wiederholt Gemeindeversammlungen abzuhalten und Gespräche zu führen, um zu verstehen, welche Werte der lokalen Bevölkerung wichtig sind, und diese dann in den Projektplan zu integrieren“, sagt Sarah Klain, Forscherin im Bereich Nachhaltigkeit an der Oregon State University in Corvallis.

Nun, da man diese Lektion gelernt hat und zunehmend Investitionen aus dem Ausland kommen, rechnet Musial damit, dass die Zahl der Offshore-Windprojekte rasch steigen wird. „Wir fangen gerade erst an, und die nächsten Projekte werden auch eine Nummer grösser ausfallen“, sagt er.

Die Kunst der Analyse

Wayne Miller kombiniert Physik mit dem Hochleistungsrechnen, um die Stromerzeugung aus Wind zu optimieren. Als stellvertretender Programmleiter für Wind- und Solarenergie und stellvertretender Direktor des High Performance Computing Innovation Center am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien erstellt Miller Simulationen, um den optimalen Windpark zu entwickeln – und erreicht damit Leistungssteigerungen um bis zu 5 Prozent.

„Gegenüber dem Status quo ist das nur eine marginale Verbesserung“, räumt Miller ein. Doch auch kleine Verbesserungen können auf dem milliardenschweren Markt für Windenergie schnell zu grossen Summen anwachsen.

Miller und sein Team nutzen Supercomputer, um zu untersuchen, wie sich Luftströmungen in der Atmosphäre auf den Betrieb von Windparks auswirken. Die Grundlage dafür bildet ein von der US-Regierung entwickeltes numerisches Wettervorhersagesystem – das Weather Research and Forecasting Model. In dieses System integrieren die Forscher dann die Windkraftanlagen.

Ihre Modelle berücksichtigen die Turbulenzen, die im Windschatten vorgelagerter Anlagen entstehen, um so die optimale Anordnung der Türme zu ermitteln. Diese hängt von Faktoren wie der Topografie, den Windbedingungen und den Windkraftanlagen selbst ab, die vor der Küste so gross sind, dass sie noch mehr Platz benötigen als an Land.

Doch oft sind es nicht so sehr physikalische, sondern menschliche Faktoren, die über die Gestaltung von Windparks entscheiden. „Es sind unzählige Einschränkungen zu beachten, die nichts mit dem optimalen Layout oder der Ressource Wind an sich zu tun haben“, sagt Cristina Archer, Umweltingenieurin an der University of Delaware in Newark. Da sind vielleicht die Vertreter der Küstenwache, die die Windkraftanlagen von den Schifffahrtsrouten fernhalten möchten. Oder Meeresbiologen, die die Störungen für die marine Fauna und Flora möglichst gering halten wollen. Und dann noch all die ästhetischen Bedenken, die berücksichtigt werden müssen.

„Es ist sowohl eine Kunst als auch eine Wissenschaft, das alles unter einen Hut zu bekommen“, sagt Miller.

Wiser, R. et al. Expert elicitation survey on future wind energy costs. Nat. Energy, veröffentlicht: 10.1038/nenergy.2016.135 (2016).