Der Perowskit-Boom und seine Rolle bei der Energiewende

Ein unscheinbares dunkles Mineral verheisst den kostengünstigsten Solarstrom aller Zeiten – zumindest wenn es gelingt, einige Probleme aus dem Weg zu räumen.

Sonderlich beeindruckend wirkt er nicht, der briefmarkengrosse Chip mit seinen zwei abstehenden Drähten. Doch der Schein trügt. Diese Kombination aus einer herkömmlichen Silizium-basierten Solarzelle und einer Schicht aus einem dunklen Mineral mit dem Namen Perowskit hat das Potenzial, die Solarenergiebranche zu revolutionieren.

Bereits jetzt können Prototypen solcher Zellen mehr als 26 Prozent der Sonnenstrahlung in Strom umwandeln, was etwa dem maximalen theoretischen Wirkungsgrad herkömmlicher Silizium-Solarzellen entspricht.

Und es wird damit gerechnet, dass sich ihre Leistung noch weiter steigern lässt.

Laut Kylie Catchpole, Entwicklungsingenieurin an der Australian National University und Leiterin der Forschungstätigkeiten zu Perowskit-beschichteten Siliziumzellen, könnten Perowskite einen Wirkungsgrad von 40 Prozent erreichen.

Das ist beachtlich. Denn die Menge an Energie, die die Sonne innerhalb einer Stunde auf die Erde strahlt, würde ausreichen, um den weltweiten Energiebedarf der Menschheit ein Jahr lang zu decken. Wenn es gelänge, den Wirkungsgrad zu steigern, könnten Solarzellen umweltschädlichere Formen der Energieerzeugung vollständig ersetzen.

Eine Revolution mit unscheinbarem Ursprung

Perowskite, eine Klasse von Mineralen mit einer speziellen Kristallstruktur, wurden 1839 im russischen Uralgebirge entdeckt. Doch erst 2009 verwendete eine Gruppe japanischer Forscher – unter Leitung von Tsutomu Miyasaka von der Toin-Universität Yokohama – Perowskite zum ersten Mal zur Herstellung einer Solarzelle. Sie wären vielleicht im mineralogischen Kuriositätenkabinett eingestaubt, wäre Miyasakas Interesse nicht einige Jahre zuvor von einem Doktoranden geweckt worden, der ihre photovoltaischen Eigenschaften auf die Probe stellen wollte. Miyasaka, der verschiedene Materialien auf ihr Potenzial für die Nutzung in Solarzellen untersuchte, hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie von Perowskiten gehört.

Seine anfänglichen Ergebnisse waren wenig verheissungsvoll. Die ersten Perowskit-Solarzellen (PSZ) hatten einen so geringen Wirkungsgrad – entmutigende 3,8 Prozent – dass mehrere führende Fachzeitschriften ablehnten, als Miyasaka seine Ergebnisse in einem Artikel vorstellen wollte.

Dennoch zeigten so viele Forscher Interesse am Potenzial der Perowskite, dass weitere Untersuchungen angestellt wurden. Eines der ersten Merkmale, das bei den Forschern Begeisterung auslöste, war die Fähigkeit von PSZ, blaues Licht besser zu absorbieren als Silizium. Dieses blaue Licht ist der hochenergetische Anteil des sichtbaren elektromagnetischen Spektrums.

Mit Silizium-basierten Solarzellen, so Catchpole, „kann die zusätzliche Energie des blauen Lichts einfach nicht genutzt werden.“

Perowskite waren somit „das erste Material, das potenziell kostengünstig war und gleichzeitig zu einer echten Steigerung des Wirkungsgrads von Solarzellen führen konnte“, fügt sie hinzu.

Die Forschung hat seitdem deutlich an Fahrt aufgenommen – der Wirkungsgrad von PSZ hat in den vergangenen zwei Jahren einen wahren Sprung gemacht. Südkoreanische Forscher vom Ulsan National Institute of Science and Technology stellten eine PSZ mit einem Wirkungsgrad von 22,1 Prozent her. Wenig später folgte eine Zelle mit einem Wirkungsgrad von 23,9 Prozent, hergestellt am belgischen IMEC. Und wie Catchpole mit ihrer Arbeit zeigen konnte, lassen sich sogar noch höhere Wirkungsgrade erzielen, wenn andere Materialien mit Perowskit beschichtet werden.

 Das hat dazu geführt, dass sich mehrere Unternehmen nun einen Wettstreit um die Entwicklung dieser so vielversprechenden, wenn auch noch experimentellen Solartechnologie liefern, in der Hoffnung, dass PSZ in den kommenden Jahren den Markt erobern.

Die Hoffnung und die Herausforderungen

Wenn sie das tun, werden sie Teil einer noch deutlich grösseren Revolution werden. Denn die Solarenergie hat in den letzten zehn Jahren einen wahren Boom erlebt: 2017 wurden weltweit mehr als 100 Gigawatt erzeugt – eine Steigerung um fast 1.400 Prozent gegenüber 2008. Und dennoch macht sie nur bescheidene 1,5 Prozent der weltweit installierten Stromerzeugungskapazitäten aus.

Aktuell entfallen rund 85 Prozent des weltweit durch Photovoltaik (PV) erzeugten Stroms auf kristalline Siliziumzellen. Ihre Herstellung erfordert teure, mehrstufige Prozesse in Reinräumen bei hoher Temperatur – mehr als 1.000 °C – und starkem Unterdruck. Für die Massenproduktion sind das keine idealen Voraussetzungen. Zudem arbeiten Silizium-basierte Zellen nicht besonders effizient.

Theoretisch könnten Perowskit-Materialien Silizium verdrängen. Sie sind billig und leicht verfügbar. Und potenziell lassen sie sich mit kostengünstigen Druck- oder Sprühbeschichtungsverfahren herstellen. Bisher wurden sie jedoch nur in Pilotmengen gefertigt, sodass die endgültigen Produktionskosten nur schwer vorherzusagen sind.

Es gibt noch Potenzial... Es gibt Möglichkeiten, den Wirkungsgrad noch weiter zu steigern, was allein mit Silizium nicht der Fall ist.

„Das Wichtige bei diesem Ansatz ist, dass es noch Potenzial gibt“, erklärt Catchpole. „Es gibt Möglichkeiten, den Wirkungsgrad noch weiter zu steigern, was allein mit Silizium nicht der Fall ist.“

Ein wesentlicher Faktor, der der Verbreitung von PSZ im Wege steht, ist ihre Empfindlichkeit gegenüber Hitze und Feuchtigkeit. Derzeit halten Perowskit-Solarzellen den Bedingungen im Freien weniger als ein Jahr lang stand. Hersteller von Dachsolaranlagen mit Siliziumzellen bieten dagegen häufig 20 Jahre Garantie an.

Die mangelnde Haltbarkeit ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass eine wasserlösliche Form von Blei ein wesentlicher Bestandteil von PSZ ist. Das bedeutet, dass eine bessere Lösung gefunden werden muss, um das Blei zu isolieren und an einem Austritt in die Umwelt zu hindern. Oder – was angesichts seiner Toxizität sicher noch besser wäre – es vollständig zu ersetzen.

Auch in diesem Bereich gibt es jedoch Fortschritte, und die Forscher sind zuversichtlich, dass die Probleme in naher Zukunft aus dem Weg geräumt werden können.

Gleichzeitig hängt die Wettbewerbsfähigkeit von PSZ davon ab, ob ihr hoher Wirkungsgrad auch bei der Produktion im grossen Massstab erreicht werden kann. Aktuell haben die Forscher bereits bei relativ kleinen PSZ mit Materialmängeln zu kämpfen. 2017 entwickelte Toshiba ein flexibles, 5 Zentimeter grosses PSZ-Modul mit einem Wirkungsgrad von 10,5 Prozent. Für alles, was über die Grösse einer Briefmarke hinausgeht, ist das ein Rekord – aber gleichzeitig nur rund ein Viertel dessen, was theoretisch möglich ist.

Riesiges Geschäftspotenzial

Mehrere Unternehmen befassen sich aktuell mit der Herstellung von Perowskit-Solarzellen. Saule Technologies beispielsweise entwickelt derzeit ein Tintenstrahldruckverfahren, mit dem PSZ auf flexible Folien aufgebracht werden können. Olga Malinkiewicz, Gründerin des privat finanzierten Unternehmens, sagte, der Fokus bei den Solarmodulen liege auf drei Bereichen: dem Automobilsektor, der Baubranche und der Raumfahrt.

Anderenorts arbeitet Iris PV, ein Ableger der Stanford University, an der Entwicklung und Kommerzialisierung von Tandem-Solarzellen aus Silizium und Perowskiten.

Und das Interesse der Investoren wächst. So konnte etwa der Perowskit-Spezialist Oxford Photovoltaics, der aus der Oxford University hervorgegangen ist, Ende 2016 Investorengelder in Höhe von 16,8 Millionen GBP für sich gewinnen.

Im Rennen um kostengünstige und zuverlässige Solarenergie-Lösungen geht es um viel, sowohl in wirtschaftlicher als auch in ökologischer Hinsicht. Prognosen der Internationalen Energieagentur zufolge könnte die Solarenergie bis Mitte des Jahrhunderts 16 Prozent des weltweit erzeugten Stroms stellen. Und daran könnten PSZ durchaus einen wesentlichen Anteil haben.