Wasserstoff und die Energiewende
Wasserstoff: Mehr als nur heisse Luft
Nach vielen Fehlstarts ist Wasserstoff jetzt ein heisser Kandidat für den Antrieb der Zukunft, da die Produktion hochgefahren wird und die Kosten sinken.

Wasserstoff ist das älteste, leichteste und am häufigsten vorkommende Element im Universum.
Doch erst 1766 erkannte die Welt sein Potenzial als Energiequelle.
In einem bahnbrechenden Experiment isolierte der englische Wissenschaftler Henry Cavendish das Gas, indem er Metall und Säure vermischte, um sogenannte „brennbare Luft“ zu erzeugen, die bei der Verbrennung Wasser abgab. Leider trat die Wissenschaft seit dieser Entdeckung auf der Stelle.
Die Bemühungen, Wasserstoff in eine saubere Energiequelle umzuwandeln, wurden durch die damit verbundenen Kosten immer wieder ausgebremst.
Die Produktion, die Lagerung und der Transport des Gases waren extrem teuer, weshalb viele Experten es als nicht ernstzunehmende Alternative zu fossilen Brennstoffen ausser Acht liessen.
Das dürfte sich mit den jüngsten Entwicklungen ändern.
Überall auf der Welt investieren Regierungen und Unternehmen, wie Strom- und Gaserzeuger, Versorger und Autohersteller, verstärkt in die Entwicklung neuer wasserstoffbasierter Technologien.
Dieses Engagement kommt nicht von ungefähr. Es resultiert aus Fortschritten, die darauf hoffen lassen, dass die Kosten für die Wasserstofferzeugung bald so stark sinken könnten wie die von Wind- und Solarenergie. Dadurch dürfte es einfacher werden, Wasserstoff in den CO2-freien Energiemix zu integrieren.
Wasserstoff hat viele Farben
Wasserstoff mag zwar das am häufigsten vorkommende Gas sein, aber in reiner Form ist er nicht in der Atmosphäre anzutreffen.
Es gibt nur wenige Möglichkeiten, Wasserstoff zu extrahieren, und alle sind kompliziert und kostspielig.
Heute sind rund 95% des Wasserstoffs „braun“ oder „grau“. Er wird aus Kohle oder Erdgas gewonnen, und bei dem als Reformierung bezeichneten Prozess wird Methan oder Kohlenwasserstoff in Wasserstoff umgewandelt.
Es wird geschätzt, dass bei diesen Industrieverfahren 11 kg CO2 an indirekten Emissionen entstehen, nur um 1 kg Wasserstoff zu erzeugen.
Hier könnte „blauer“ Wasserstoff ins Spiel kommen, der einen viel kleineren CO2-Fussabdruck hat.
Das Verfahren für die Gewinnung von blauem Wasserstoff beginnt genauso wie bei grauem Wasserstoff. Die blaue Variante unterscheidet sich jedoch dadurch, dass ein weiterer Prozess hinzukommt, mit dem die CO2-Emissionen der Wasserstofferzeugung reduziert werden.
Mithilfe der CCS-Technologie (Kohlenstoffabscheidung und -speicherung) wird das Nebenprodukt, der Kohlenstoff, in unterirdischen Behältern gespeichert.
Das ist nicht gerade günstig (siehe Abbildung). Ausserdem ist auch dieses Verfahren nicht komplett emissionsfrei.
Blauer Wasserstoff wird allmählich kosteneffizienter, aber dazu müssen die CO2-Preise – oder andere Kosten, die CO2-Verursachern auferlegt werden – auf ca. 60–70 EUR pro Tonne CO2 festgesetzt werden und die CCS-Technologie müsste kommerziell nutzbar gemacht und in industriellem Massstab ausgebaut werden.
Wasserstoff grüner machen
Angesichts der Schwächen von braunem, grauem und blauem Wasserstoff im Hinblick auf die Umweltbilanz ist „grüner“ Wasserstoff vielleicht die nachhaltigste Lösung.
Grüner Wasserstoff wird aus der Wasserelektrolyse gewonnen, einem Prozess, bei dem Wasser mit Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind- oder Solarkraft in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten wird. Dabei entstehen keine CO2-Emissionen, daher wird das Verfahren als „grün“ bezeichnet. Es ist jedoch auch die mit Abstand teuerste Methode der Erzeugung.
Weltweit ist die Kapazität für grünen Wasserstoff von 1 MW im Jahr 2010 auf 25 MW in 2019 gestiegen, so die Internationale Energieagentur. Grund dafür ist der drastische Rückgang der Kosten für erneuerbare Energie.
Das Problem ist nur, dass bislang weniger als 0,1% der gesamten Wasserstoffproduktion nach diesem Verfahren erfolgt.1
Wenn jedoch stärker in die Technologie investiert wird, könnte sich das Bild in den nächsten zehn Jahren grundlegend verändern.
Die EU, die ein ehrgeiziges Ziel für die CO2-Reduktion verfolgt, strebt die Errichtung von 6 GW grüner Wasserstoffkapazität zu geschätzten Kosten von 5–9 Mrd. Euro an und baut diese bis 2030 auf 80 GW aus – hierfür stehen 44 Mrd. Euro bereit.
Kumulative Investitionen in erneuerbaren Wasserstoff in Europa könnten bis 2050 bis zu 470 Mrd. Euro betragen, was den Wasserstoffanteil im europäischen Energiemix bis 2050 von derzeit weniger als 2% auf 13–14% anheben würde.2
Wasserstoffautos
Die heutigen Mandate und politischen Konzepte – weltweit sind es rund 50 – konzentrieren sich hauptsächlich auf die Nutzung von grünem Wasserstoff für Transport und Verkehr.
Das macht Sinn. Auf den Verkehr entfällt etwa ein Fünftel der jährlichen Emissionen und er ist Hauptverursacher der Umweltverschmutzung in den Städten. Fortschritte bei Brennstoffzellen – die wie Batterien funktionieren, aber nicht aufgeladen werden müssen – sind von entscheidender Bedeutung, da sie den Einsatz von Wasserstoff in Fahrzeugen beschleunigen würden.
Doch hier müssen Wasserstoffbefürworter ihren Optimismus zügeln.
Brennstoffzellen wandeln Wasserstoff als Kraftstoff in Strom um, mit dem dann das Fahrzeug angetrieben wird. Die Energieeffizienz von Brennstoffzellen – gemessen daran, wie viel Elektrizität sie letztendlich pro 100 Einheiten normaler erneuerbarer Energie gewinnen können – liegt jedoch nur bei 26%. Dem steht ein Wirkungsgrad von 69% bei Batterien gegenüber (Brennstoffzellen sind allerdings Verbrennungsmotoren überlegen, die eine Effizienz von 13% haben).3
Brennstoffzellen sind aufgrund des Leistungsverlusts bei Umwandlungsprozessen wie Übertragung, Elektrolyse und Transport sowie beim Einsatz in Elektromotoren und mechanischen Anwendungen im Nachteil.
Auf der anderen Seite fallen die Kosten für Brennstoffzellensysteme dank verbesserter Technologie und Skaleneffekten drastisch.
Vor einigen Jahren kostete es mehr als 1.000 US-Dollar, ein Kilowatt Strom aus Wasserstoffbrennstoffzellen zu produzieren. 2019 lagen die Kosten nach Angaben des US-Energieministeriums nur noch bei 53 US-Dollar pro Kilowatt.
Brennstoffzellen dürften dadurch breitere Anwendung in bestimmten Fahrzeugtypen finden, bei denen Batterien aufgrund langer Ladezeiten keine wirtschaftliche Alternative sind.
Experten gehen davon aus, dass Brennstoffzellenfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb in Nischensegmenten mit mittlerer bis hoher Beanspruchung, wie z. B. in Bussen und Lkw, eingesetzt werden, sodass bei den Gesamtbetriebskosten bis 2028–2033 eine Parität mit Dieselfahrzeugen erreicht sein könnte.

Auch die Infrastruktur muss ausgebaut werden. Ende 2019 gab es weltweit 470 Wasserstofftankstellen, über 20% mehr als 2018.
Vor allem Asien ist eine Region mit massivem Wachstum. Die japanische Wasserstoffinfrastruktur ist mit 113 Tankstellen die grösste der Welt und die Regierung setzt mit ehrgeiziger Industriepolitik und -investitionen massiv auf Wasserstoff. In China hat sich die Anzahl der Tankstellen 2019 auf 61 verdreifacht.
China untersucht nach der erfolgreichen Umsetzung eines Pilotprogramms 2019 gerade weitere Möglichkeiten für Züge mit Wasserstoffantrieb.
Wasserstoff wurde immer wieder hoch gelobt, ist den Erwartungen aber nie gerecht geworden. Doch das könnte sich jetzt ändern, wo ein erbittertes Wettrennen um die Entwicklung neuer Technologien, gefördert durch enorme staatliche Investitionen, begonnen hat.
Der Kampf gegen den Klimawandel durch Dekarbonisierung ist eine Herausforderung, bei der alle mitmachen müssen. Wasserstoff könnte hier bald eine ernstzunehmende Rolle spielen.