Saubere Energie mit künstlicher Photosynthese
Die Natur übertrumpfen
Die künstliche Photosynthese wandelt Sonnenlicht in Brennstoff um – und das mit einem Wirkungsgrad, der entlegenen Regionen eine effiziente Energieversorgung sichern könnte.

Daniel Nocera lässt einen daumennagelgrossen Silizium-Mikroprozessor in den kleinen, mit Wasser gefüllten Messbecher gleiten und schaltet eine Lampe ein. Sofort steigen Blasen von dem Chip auf.
Als er die Lampe wieder ausschaltet, verschwinden auch die Blasen. Es ist eine simple Demonstration, doch sie hat es in sich. Denn die Technologie dahinter könnte die vielen Millionen Menschen mit Strom versorgen, die bislang kaum Zugang dazu haben – Menschen in unterentwickelten Ländern und entlegenen Gegenden.
Der Chip ist ein künstliches Blatt. Nocera, Patterson-Rockwood-Professor für Energie an der Universität Harvard, hat es entwickelt, um damit die Photosynthese nachzuahmen – den natürlichen chemischen Prozess, mit dem Sonnenlicht in gebundene Energie umgewandelt wird.
Doch Noceras Blatt kopiert die Natur nicht nur, es übertrumpft sie. Während die effizientesten Pflanzen rund 1 Prozent des Sonnenlichts in Energie umwandeln, könnten künstlich hergestellte Versionen mindestens zehnmal bessere Ergebnisse erzielen – doch ganz so weit sind die Forscher noch nicht.
Bis die Technologie in kommerziell nutzbarer Weise Energie produzieren kann, ist es noch ein weiter Weg.
Erfolgsrezept Bionik
Herkömmliche Photovoltaik-Zellen aus Silizium nutzen den photoelektrischen Effekt – das absorbierte Licht löst Elektronen aus ihrer Bindung – um einen Strom zu erzeugen, mit dem etwas angetrieben oder eine Batterie aufgeladen werden kann.
Bei Noceras Methode geht es darum, chemische Reaktionen mithilfe eines Katalysators zu beschleunigen. 2011 entwickelten er und seine Kollegen am MIT eine Mehrschicht-Siliziumzelle – mit einem Kobalt-Katalysator oben und einer neuartigen Nickel-Molybdän-Zink-Legierung unten – die in der Lage war, Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Aktuell erzielt die Arbeitsgruppe um Nocera bei der Umwandlung von Sonnenenergie in Wasserstoff einen Wirkungsgrad von mehr als 10 Prozent. Er rechnet damit, ihn noch auf 15–18 Prozent steigern zu können.
Wasserstoff an sich ist zwar bereits ein Brennstoff, seine Handhabung gestaltet sich aber oft schwierig. Noceras nächstes Meisterstück in Sachen Biomimikry bestand deshalb darin, in Zusammenarbeit mit seiner Harvard-Kollegin Pamela Silver den gewonnenen Wasserstoff mit Kohlendioxid aus der Umgebungsluft in flüssigen Brennstoff umzuwandeln – und entwickelte dazu faktisch ein „bionisches Blatt“. „Pflanzen verbinden Wasserstoff im Dunkeln mit Kohlendioxid und stellen so Brennstoff [in Form von Zuckern] her“, erklärt er. „Uns wurde klar, dass wir den mit künstlichen Blättern gewonnenen Wasserstoff nutzen und mit den Werkzeugen der synthetischen Biologie Bakterien konstruieren können.“ Diese Bakterien – Ralstonia eutropha – können Wasserstoff und Kohlendioxid in flüssige Kohlenwasserstoff-Brennstoffe sowie chemische Vorstufen von Kunststoffen umwandeln.
Leider beschädigte die Nickellegierung in seiner Zelle die DNA der Bakterien und vergiftete sie praktisch. Doch das Problem erwies sich als glücklicher Zufall. 2017 entwickelte Nocera einen Ersatz, einen neuen Katalysator auf Kobaltbasis. Damit stellte die Solarzelle auf einmal keine Kohlenwasserstoffe mehr her, sondern wandelte Sonnenenergie in Biomasse um – und das zehnmal effizienter als schnell wachsende Pflanzen wie Rutenhirse. Diese Biomasse wiederum konnte in einem weiteren Schritt in Brennstoffe wie Bioalkohole und Kohlenwasserstoff-Brennstoffe umgewandelt werden.

Kommerzielle Nutzung schwierig
Doch bis diese Technologie kommerziell genutzt werden kann, vergehen wohl noch Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte. Erst müssen noch verschiedene Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.
Die heutigen Verfahren zur Herstellung von Wasserstoff mithilfe künstlicher Blätter wären wohl etwa zehnmal so teuer wie seine Herstellung aus fossilen Brennstoffen. Um die Kosten zu senken, müssen die Entwickler die Herstellung und Installation ihrer Systeme vereinfachen und dafür sorgen, dass sie mindestens genauso lange halten wie andere Solarlösungen, also rund 20 Jahre – ein nicht immer einfaches Unterfangen.
So führt die Herstellung von Sauerstoff aus Wasser beispielsweise dazu, dass die Lösung sauer wird, was den Elektroden und Katalysatoren zusetzen kann. Säurebeständige Materialien wiederum sind tendenziell teuer. Noceras Lösung bestand darin, seinen Katalysatoren „Selbstheilungskräfte“ zu verleihen. Eine weitere mögliche Lösung ist eine dünne Beschichtung mit leitenden Oxidfilmen – dem Wirkstoff in Sonnenschutzmitteln. Dadurch könnten die Elektroden und Katalysatoren geschützt werden, doch andere Aspekte erfordern hier noch viel Arbeit.
An Orten ohne konventionelle Energieinfrastruktur spielen die Kosten der Herstellung von Wasserstoff mithilfe eines künstlichen Blattes und von Brennstoffen mithilfe des bionischen Blattes vielleicht gar keine so grosse Rolle. An solchen Orten ist Brennstoff grundsätzlich teuer – ganz egal, auf welche Methode gesetzt wird. Statt in umweltschädliche Energiequellen wie etwa ein Kohlekraftwerk zu investieren, könnten Länder dezentrale Systeme aufbauen, die auf künstlicher Photosynthese beruhen. Dies ist einer der Gründe, warum das Institute of Chemical Technology in Mumbai das geistige Eigentum an Noceras bionischem Blatt übernommen hat – Indien wäre der ideale Markt für diese Technologie.
So könnten künstliche Blätter eines Tages eine neue Ära grüner Energie einläuten.