Das Potenzial von Quanten-Computing-Technologie
Quantensprung: Die neue Ära der Informationstechnologie
Quanten-Computing könnte alles verändern. Aber vorher müssen die Entwickler noch grosse Hürden überwinden.

Anfang Dezember meldete ein Team chinesischer Wissenschaftler, dass sie einen Quantencomputer entwickelt haben, der mathematische Berechnungen rund 100 Billionen Mal schneller als der schnellste Supercomputer der Welt durchführt. Ein Jahr davor hatte Google bereits einen Quanten-Durchbruch gemeldet – das Unternehmen hatte ein System entwickelt, das eine komplexe Berechnung binnen 200 Sekunden durchführen kann, wofür ein klassischer hochmoderner Supercomputer knapp 10.000 Jahre brauchen würde.
„Die Meldung von Google hat auf einen Schlag alles verändert“, so Roger McKinley, Challenge Director für Quanten-Technologien bei UK Research and Innovation, einer staatlich geförderten Einrichtung. „Sie hat gezeigt, dass diese Technologie machbar ist und dass in sie investiert werden kann.“
Die grosse Frage lautet jetzt: Inwieweit können Quantencomputer in der realen Welt eingesetzt werden?
Um das Potenzial von Quanten-Computing für die reale Welt zu verstehen, bedarf es einiger Erklärungen, wie sich Quantencomputer von traditionellen Supercomputern unterscheiden. Herkömmliche Computer arbeiten mit „Bits“, der kleinsten Dateneinheit, die Informationen in einem von zwei Zuständen kodiert: 0 oder 1. Quantencomputer hingegen basieren auf Quantenmechanik und verwenden sogenannte „Qubits“, die sich in zwei Zuständen gleichzeitig befinden können.
„Beim Quanten-Computing werden Informationen in quantenmechanischen Freiheitsgraden kodiert und die Verarbeitung der Daten findet in einem sich kontinuierlich verändernden Raum statt“, erklärt Chad Rigetti, Gründer des Startup-Unternehmens Rigetti, das integrierte Quantenschaltkreise für Quantencomputer baut. „Das Verhältnis von klassischem Computing zu Quanten-Computing lässt sich bildlich in etwa so beschreiben: Während beim klassischen Bit nur Nord- und Südpol existieren, gibt es beim Qubit auch alle anderen Punkte der Erdoberfläche.
Konkret bedeutet dies, dass Quantencomputer Millionen Berechnungen gleichzeitig durchführen können. Die Idee ist nicht neu: Schon vor einigen Jahrzehnten entwickelte der US-Physiker Paul Benioff dieses Konzept, aber jetzt erst wird durch Investitionen von Technologieriesen, die Unterstützung zukunftsorientierter Regierungen und das Engagement von Deep-Tech-Startups – meist Ausgründungen von akademischen Einrichtungen – aus dieser Theorie Wirklichkeit.
Quanten-Computing-Technologie nimmt gerade erst Fahrt auf, aber das disruptive Potenzial ist jetzt schon deutlich erkennbar. Da alle möglichen Zustände von Quantenteilchen verarbeitet werden können, werden Quantencomputer viel effizienter und schneller als klassische Supercomputer arbeiten können. Sie können viele Aufgaben ausführen, die jetzt noch nicht möglich sind. Das gilt insbesondere für die Modellierung komplexer Prozesse. Unsere Fähigkeit, neue Materialien zu entdecken, Wetter und Klima vorherzusagen und lebensrettende Medikamente zu entwickeln, bekommt dadurch einen enormen Schub.
Es müssen aber noch einige Herausforderungen gemeistert werden – Technologen aus der Wissenschaft und der Privatwirtschaft müssen den Beweis erbringen, dass ihre Rechner stabil laufen und in grossem Massstab arbeiten können.
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Quantensprung
Alan Baratz, CEO des kanadischen Unternehmens D-Wave Systems, das nach eigenen Angaben den weltweit ersten kommerziellen Quantencomputer entwickelt hat, sagt, dass die Technologie bereits die Marktreife erlangt habe. „Wir können jetzt reale geschäftliche Probleme im grossen Massstab lösen.“
Der cloudbasierte Quanten-Computing-Service des Unternehmens, Leap, kostet 2.000 US-Dollar pro Stunde für den Zugang zur Anfrageverarbeitung und 100 US-Dollar pro Stunde für hybride Problemlöse-Services, die klassische Algorithmen und Quanten-Ressourcen kombinieren. Volkswagen, einer der Kunden von D-Wave, reduzierte die Mengen an Abfall aus dem Lackierprozess um 80%, indem eine effizientere Abfolge für die Fertigungsmaschinen berechnet wurde.
Chemie und Grundstoffe dürften erheblich von der Technologie profitieren. „Ein Batterienhersteller braucht vermutlich 18 Monate, um eine neue Elektrode zu entwickeln und zu testen. Mit Quanten-Computing könnte man die Materialeigenschaften bis hin zum Quantenzustand simulieren – binnen zwei Wochen“, so McKinley.
Quanten-Simulation könnte die Organisation von wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung verändern, sodass vor den eigentlichen Experimenten mehr Modellierung und Simulation möglich sind.
Datenintensive Branchen wie der Finanzsektor könnten ebenfalls von Quanten-Leistung profitieren. Rigetti nutzt Quanten-Computing für ML-Algorithmen, mit denen Finanzdatenbestände verarbeitet werden. „Der Finanzsektor ist eine sehr rechenintensive und mathematische Branche. Es gibt Möglichkeiten, eine neue Form von Computerhardware in Workflows und Routinen in Bereichen wie Portfoliooptimierung in grossem Massstab zu integrieren“, so Rigetti.
Die britische Bank Standard Chartered gehört einem 10 Mio. GBP (13,3 Mio. US-Dollar) schweren Konsortium an, das von Rigetti für die Entwicklung kommerzieller Quanten-Anwendungen gegründet wurde. Die Bank hat ein Interesse daran zu erfahren, wie sich Quanten-Computing für Prozesse wie die Simulation von Finanzportfolios und die exponentielle Beschleunigung der Generierung von Marktdaten nutzen lässt. Und die spanische CaixaBank hat maschinelles Lernen auf Basis von Quanten-Computing für die Klassifizierung des Kreditrisikos genutzt.
Experten glauben, dass das Potenzial von maschinellem Lernen – einem zunehmend einflussreichen Ableger von künstlicher Intelligenz – erst mit Quantencomputern voll erschlossen werden kann. „Für maschinelles Lernen ist eine viel höhere Rechenleistung notwendig. Echtes maschinelles Lernen wird ohne Quanten-Computing nicht funktionieren – wir haben unterschätzt, wie komplex maschinelles Lernen wirklich ist“, so McKinley.
Es gibt noch einige grosse technische Hürden zu überwinden. Entscheidend ist zum Beispiel, dass genügend Qubits gebaut werden, damit nützliche Berechnungen durchgeführt werden können. Die Beeinflussung von subatomaren Teilchen ist heikel, da sie bei einer Störung sofort instabil werden. Die Fehlerquoten sind bei einigen Quanten-Computing-Systemen hoch, und je länger die Verarbeitung dauert, desto eher treten Fehler auf.
Es gibt viele Möglichkeiten, Quanten-Systeme zu bauen – mithilfe von supraleitenden Qubits, Ionenfallen, Diamanten und Silizium –, doch noch weiss man nicht, welche Methode am effektivsten ist. Aus diesem Grund wird nur zögerlich investiert.
„Wir haben ein Problem wie seinerzeit mit VHS und Betamax“, sagt McKinley in Anspielung auf den Formatkrieg zwischen den beiden Videoformaten vor der DVD- und Streaming-Ära. „Es gibt mehrere Hardware-Ansätze, und die Investoren sind sich nicht sicher, welchen sie unterstützen sollen. Ich persönlich betrachte diese Situation als gesundes Zeichen, dass sich in dem Bereich viel tut, aber einige Investoren interpretieren das als Zeichen, dass es noch zu früh ist. Sie wollen lieber warten, bis sich herauskristallisiert hat, welcher Ansatz der optimale ist.“
Staatliche Mittel werden eine wichtige Rolle spielen, um die Finanzierungslücke zu schliessen. Zukunftsorientierte Agenturen haben die gesellschaftlichen Auswirkungen des Quanten-Vorteils bereits erkannt. Für McKinley wird die Quanten-Verarbeitung einen erheblichen positiven Einfluss auf Bildgebung und Sensorerfassung haben. Dies könnte einer Vielzahl von Anwendungen einen Impuls geben, von medizinischer Bildgebung über autonome und fahrerlose Systeme bis hin zur Emissionsüberwachung.
Er verweist auch darauf, dass es gefährlich ist, in Sachen Quanten-Computing den Anschluss zu verlieren. In Grossbritannien wurde das staatliche Programm nach dem „Flash Crash“ im Mai 2010 ins Leben gerufen, einem nur wenige Minuten andauernden massiven Kurseinbruch an den Aktienmärkten, bei dem Hunderte Millionen US-Dollar verschwanden. „In diesem Fall führte die Schnelligkeit der Verarbeitung zu Instabilität beim Finanzhandel. In einer globalen Wirtschaft wirkt es sich sofort aus, wenn ein Unternehmen oder ein Land etwas Neues entwickelt hat.
Die britische Regierung hat rund 1 Mrd. GBP (1,3 Mrd. US-Dollar) in Quanten-Computing investiert, unter anderem 120 Mio. GBP in vier wissenschaftliche Einrichtungen, die Quanten-Ansätze für Sensoren sowie zur Bestimmung von Ort und Zeit und Bildgebung entwickeln. McKinley glaubt, dass Grossbritannien ein Vorreiter ist – dank seiner Stärken in Physik und Technik und paradoxerweise dadurch, dass es keine britischen Technologieriesen gibt und Startups und akademische Ausgründungen diese Lücke gefüllt haben. „Da wir nicht diese Baumriesen haben, fällt jede Menge Regen und Sonne auf den Waldboden. Wir stehen nicht im Schatten von Goggle, Microsoft & Co.
Aber das Wettrennen hat begonnen, da mittlerweile auch andere Regierungen in die Technologie investieren. Die US-Regierung hat vor Kurzem gemeldet, dass sie 1 Mrd. US-Dollar für die Finanzierung von Forschungseinrichtungen ausgeben werde, die sich mit KI und Quanten-Computing beschäftigen. Dabei soll eine Vielzahl von Anwendungsbereichen untersucht werden, von Meereswissenschaften bis hin zu Hochenergiephysik. Die EU wiederum finanziert die 1 Mrd. Euro schwere, auf zehn Jahre ausgelegte Quantum Technologies Flagship Initiative. Kanada hat in den zehn Jahren bis 2019 rund 1 Mrd. US-Dollar investiert und die chinesische Regierung baut Meldungen zufolge ein 10 Mrd. US-Dollar teures nationales Labor für Quanten-Informationswissenschaften.
Eins ist klar: Niemand möchte im Wettrennen um den Quanten-Vorteil zurückbleiben.