Grossunternehmen – die neuen Befürworter der CO2-Bepreisung

Grossunternehmen haben ihre Meinung zur CO2-Bepreisung grundlegend geändert, was die Energiewende beschleunigen dürfte.

Einflussreiche Unternehmen entwickeln sich zu unerwarteten Befürwortern eines globalen Plans zur CO2-Bepreisung, was die Energiewende beschleunigen könnte.

Die dänische Reederei Maersk, das Schweizer Handelshaus Trafigura und der US-Getränkehersteller PepsiCo gehören zu den mehreren hundert Unternehmen, die von ihren Regierungen die Einführung eines globalen CO2-Bepreisungssystems fordern, damit die Bemühungen zur Verlangsamung der globalen Erwärmung intensiviert werden.

Die CO2-Bepreisung zielt darauf ab, das Tempo der Dekarbonisierung zu beschleunigen, indem Emissionen teurer gemacht und finanzielle Anreize für Unternehmen geschaffen werden, auf nichtfossile Energieträger umzusteigen.

Trotz des vielversprechenden Ansatzes ist die CO2-Bepreisung, die vor knapp fünfzig Jahren erstmals zur Sprache kam, bislang nicht in Fahrt gekommen.

Die bestehenden Programme decken gerade mal ein Viertel aller jährlichen globalen Treibhausgasemissionen ab.1 Und die USA als grösste Volkswirtschaft der Welt beteiligen sich nicht einmal auf Bundesebene.

Auch sind die Preise viel zu niedrig. Der IWF schätzt, dass sie derzeit im Schnitt bei nur 3 USD pro Tonne CO2 liegen, mit grossen Unterschieden zwischen den Regionen.2

Das ist weit entfernt von den 100 USD pro Tonne, die laut der Internationalen Energieagentur nötig sind, um das Ziel des Pariser Klimaabkommens – die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau – zu erreichen.

Der starke Widerstand aus dem Kohle-, Öl- und Gassektor hat die Entwicklung von CO2-Bepreisungssystemen ausgebremst.

Das American Petroleum Institute (API), die führende Lobby für fossile Brennstoffe und Vertreter von fast 600 Unternehmen, kippte 2009 ein wegweisendes Gesetz, mit dem CO2-Emissionen in den USA bepreist werden sollten.

Aber das war einmal.

Mittlerweile befürwortet das API die Einführung von CO2-Preisen – eine politische Kehrtwende, die das entschlossene Engagement für die Bekämpfung des Klimawandels unterstreicht.

Auch der Business Roundtable, eine Lobbygruppe von 200 CEOs, darunter die Geschäftsleiter von Chevron und ConocoPhillips, und die US-Handelskammer, eine weitere mächtige Lobbygruppe, haben ihre Unterstützung für die CO2-Besteuerung kundgetan.

Dieser Meinungsumschwung ist definitiv zu begrüssen. Aber es stellt sich die Frage: Warum will jemand unbedingt besteuert werden?

Chris Goodall, Experte für erneuerbare Energien, sagt: „Diese Unternehmen, die nicht im Alleingang handeln und einen Rückgang ihrer Marktkapitalisierung riskieren möchten, wollen globale CO2-Vorschriften, die für alle Unternehmen gelten – auch für ihre Mitbewerber.

Gleichzeitig verschaffen sie sich damit einen Wettbewerbsvorteil als Null-CO2-Unternehmen, weil sie sich für eine CO2-Bepreisung aussprechen.

Maersk zum Beispiel fordert eine CO2-Abgabe von 150 USD pro Tonne auf Schiffskraftstoffe, weil damit die Lücke zwischen den fossilen Brennstoffen, mit denen die Schiffe heute fahren, und umweltfreundlicheren und teureren Alternativen geschlossen werde.

Die grösste Containerschiff-Reederei der Welt hat ihren CO2-Fussabdruck gegenüber 2008 um fast 50 Prozent reduziert und erfüllt damit die Vorgabe der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation für 2030.

„Die Kunden von Maersk möchten ihren Käufern zeigen können, dass alle Aspekte der Lieferkette dekarbonisiert werden. Indem Maersk andere Unternehmen in der Schifffahrtslieferkette dazu bringt, sich auch ohne staatliche Eingriffe auf einen globalen CO2-Preis zu einigen, zeigt die Reederei ihren Kunden, dass ihnen keine Mehrkosten entstehen, wenn sie dem globalen Marktführer für CO2-arme Schiffstransporte treu bleiben“, so Goodall, Autor mehrerer Bücher zu den Themen Nachhaltigkeit und Umwelt.

„Ich gehe davon aus, dass einige Branchen eigene Besteuerungskonzepte entwickeln und sich schneller bewegen werden als die Regierungen oder internationale Organisationen. Nach meiner Einschätzung wird sich dieses Muster auf andere Industriezweige wie die Landwirtschaft, die Stahlindustrie und die Textilwirtschaft ausweiten.“

Der Weltbank zufolge arbeiten einige multinationale Unternehmen, darunter Google, Walmart und Shell, bereits mit einem internen „Schatten-CO2-Preis“, der ihnen hilft, Emissionen in ihren Gewinn- und Verlustrechnungen zu berücksichtigen, CO2-Ineffizienzen zu reduzieren und den Umstieg auf einen umweltfreundlicheren Ansatz zu erleichtern.

Darüber hinaus sagt das Carbon Disclosure Project (CDP), eine gemeinnützige Einrichtung, die sich für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen stark macht, dass die Zahl der Unternehmen, die einen internen CO2-Preis einführen wollen oder bereits verwenden, um 2.000 gestiegen sei – 80 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Die Marktkapitalisierung all dieser Unternehmen zusammen liegt mittlerweile bei über 27 Bio. USD.3

Europäische Standards

Dass die CO2-Preise immer noch auf einem derart niedrigen Niveau verharren, wurde auch dafür verantwortlich gemacht, dass der Mechanismus keinen Anreiz für Unternehmen bietet, ihre Emissionen zu reduzieren.

Aber auch hier gibt es ermutigende Anzeichen.

China, der grösste CO2-Emittent der Welt, hat einen nationalen CO2-Markt eröffnet, der Europa den Rang als weltgrösster Markt dieser Art ablaufen könnte. Die Marktteilnehmer gehen davon aus, dass der Preis 2025 bei durchschnittlich 66 RMB/Tonne (10 USD) liegen und dann bis Ende des Jahrzehnts auf 77 RMB ansteigen wird.

In Europa, dem grössten und ältesten Markt der Welt, haben sich die CO2-Preise seit 2018 mehr als versechsfacht und lagen im September auf einem Rekordhoch von über 60 EUR.

Und es wird allgemein davon ausgegangen, dass die europäischen Preise weiter steigen werden.

Brüssel möchte nämlich gerade sein Emissionshandelssystem (ETS) im Einklang mit dem European Green Deal und seinem neuen Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% zu senken, ausweiten.

Bei dieser bislang grössten Umgestaltung des Marktes möchte die Kommission den Seeverkehr ab 2023 schrittweise in das ETS integrieren und den Mechanismus zur Kontrolle des Angebots an CO2-Emissionsberechtigungen verbessern.

Im Zuge der Reform werden auch die Regeln für die kostenlose Beschaffung von CO2-Zertifikaten verschärft – damit wird eine Lücke für umweltverschmutzende Industrien geschlossen, die kompletten Emissionskosten zu umgehen.

Darüber hinaus dürfte die EU einen Mechanismus für den CO2-Grenzausgleich erarbeiten, um Unternehmen in der Region mit Wettbewerbern in Ländern mit weniger strengen CO2-Vorschriften gleichzustellen und eine Verlagerung von CO2-Emissionen, d.h. eine Abwanderung europäischer Unternehmen in Länder mit weniger strengen Emissionsauflagen, zu verhindern.

Die Reform, die ab 2023 schrittweise in Kraft treten und ab 2026 voll umgesetzt werden soll, wird für die Stahl-, Eisen-, Zement-, Düngemittel-, Aluminium- und Elektrizitätsindustrie gelten.

Goodall sagt, das System des Grenzausgleichs sei für Energieimporteure einfach umzusetzen und der erste Schritt in Richtung einer globalen CO2-Steuer.

Bei Fertigwaren allerdings könnte der Plan aufgrund der unterschiedlichen CO2-Intensität der Produktionsprozesse im Sande verlaufen.

„Die Überprüfung des tatsächlichen CO2-Fussabdrucks eines Geräts, das in China aus Komponenten aus vielleicht zehn anderen Ländern zusammengebaut wird, dürfte nahezu unmöglich sein. Soll die Grenzsteuer auf der Grundlage der Selbstauskunft des Herstellers zur CO2-Bilanz des Computers erhoben werden? Unwahrscheinlich, aber wir müssen noch herausfinden, was der richtige Weg ist“, sagt er.

Strasse nach Glasgow

Die Diskussion über CO2-Preise und Emissionszertifikate dürfte bei den richtungsweisenden UN-Klimagesprächen im November in Glasgow ein potenzieller Eckpfeiler für die Unterstützung der Klimaziele sein.

Goodall sagt, dass die CO2-Preise keine breitere Unterstützung finden werden, wenn die politischen Entscheidungsträger die soziale Dimension dieser Massnahmen ausser Acht lassen.

Die Steuer werde scheitern, wenn sie zu einem Anstieg der Nettolebenshaltungskosten ärmerer Haushalte führt, in deren Budget ein relativ grosser Teil auf Energie entfällt. Stattdessen sollte die Regierung die Erlöse in Form von jährlichen Rabatten an die Bevölkerung weiterreichen – eine Politik, wie sie in Kanada praktiziert wird.

„Probleme, die sich aus der Besteuerung von Emissionen für die soziale Gerechtigkeit ergeben, müssen durch eine Überarbeitung der allgemeinen Steuerpolitik gelöst werden. Beispielsweise muss eine Erdgassteuer im Vereinigten Königreich mit Umverteilungsmassnahmen – wie Pro-Kopf-Zahlungen – an ärmere Haushalte einhergehen“, so Goodall.

„Jeder bekommt zum Beispiel 1.000 USD pro Kopf. Das würde bedeuten, dass bei einer kleinen Anzahl von Personen die Steuer am stärksten auf den gut Situierten lastet und diejenigen, die keine Flugreisen unternehmen, klare Nettobegünstigte sein werden.“

Die Weltbank schätzt, dass mehr als 40 Prozent der weltweiten Einnahmen aus der CO2-Besteuerung für Umweltprojekte bereitgestellt wurden. Mit den Erlösen wurden auch allgemeine Haushalts- und Steuersenkungen, entwicklungsbezogene Projekte und direkte Transfers an Haushalte und Unternehmen finanziert.

„Wenn wir weiterhin ein im Wesentlichen freies Handelswirtschaftssystem auf der Welt haben wollen und gleichzeitig die Emissionen um beispiellose 5 Prozent pro Jahr reduzieren möchten, ist ein allgemein anerkanntes Besteuerungsniveau absolut notwendig“, sagt Goodall.

„Das wird nicht schnell oder schmerzfrei über die Bühne gehen. Ich denke, es wird zehn Jahre oder länger dauern, bis wir einen einheitlichen weltweiten CO2-Preis haben werden, und bis dahin wird es immer wieder Rückschläge geben.“

[1] Carbon Pricing Dashboard, Weltbank
[2] Daten von Juni 2021. https://blogs.imf.org/2021/06/18/a-proposal-to-scale-up-global-carbon-pricing/
[3] https://www.cdp.net/en/research/global-reports/putting-a-price-on-carbon
[4] China Carbon Pricing Survey 2020

Über

Chris Goodall

Chris Goodall ist Consultant und Berater für Investoren und Unternehmen auf dem Gebiet der kohlenstoffarmen Energien und der Kreislaufwirtschaft. Er ist wissenschaftlicher Gutachter für die Fachzeitschrift „Biomass and Bioenergy“ und seine Artikel wurden im Guardian, The Ecologist und Abundance Generation veröffentlicht. Er ist Autor von fünf Büchern zu den Themen Energie und Umwelt, unter anderem Ten Technologies to Fix Energy and Climate, The Green Guide for Business, How to Live a Low-carbon Life und The Switch. Er veröffentlicht auch regelmässig Beiträge in seinem Blog Carbon Commentary.

Photo of Chris Goodall

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