Ein adäquates Ernährungssystem für das 21. Jahrhundert

Technologische und wissenschaftliche Innovationen lassen hoffen, dass sich die landwirtschaftliche Produktion steigern lässt und die Umwelt weniger belastet wird.

Es ist über 200 Jahre her, seit Thomas Malthus prognostizierte, dass die Bevölkerung stärker wachsen werde als das ihr zur Verfügung stehende Nahrungsangebot. Noch hat sich seine Theorie nicht bewahrheitet. Da jedoch die globalen Bevölkerungszahlen nach oben schnellen und der Konsum bei der wachsenden Mittelschicht zunimmt, stellt sich die Frage, ob wir die Welt überhaupt ernähren können.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass die Produktion bis 2050 um fast 50% steigen muss, damit alle etwas zu essen haben. Der Grossteil der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen dient bereits als Anbaufläche, daher muss die zusätzliche Menge hauptsächlich durch höhere Ernteerträge abgedeckt werden. Da die Landbevölkerung mehr und mehr in die Städte abwandert, stehen weniger Arbeitskräfte zur Verfügung. Und da sich der Klimawandel immer stärker bemerkbar macht, muss die Nachfrage gedeckt werden, ohne den Planeten irreparabel zu schädigen.

„Wir müssen die landwirtschaftliche Produktivität effizienter steigern, wenn wir die langfristigen Bedürfnisse unseres Planeten erfüllen wollen“, so Dan Burdett, Global Head of Digital Agriculture bei Syngenta, einem internationalen Agrarunternehmen. Zurzeit entfallen auf die Landwirtschaft über 20% der Treibhausgasemissionen und knapp 75% der Süsswasserentnahmen aus Quellen wie Seen oder Grundwasser.

„Wir müssen uns vor allem auf Methoden konzentrieren, die nachhaltig sind und uns die Möglichkeit geben, mit weniger Ressourcen und Emissionen mehr zu produzieren“, so Lorenzo Giovanni Bellù, Leiter des Global Perspectives Studies Teams der FAO. „Wir müssen Produktionsverfahren entwickeln, mit denen sich die Treibhausgasemissionen reduzieren lassen.“

Innovationen bei Digitaltechnologien und Bioengineering sind potenzielle Lösungen. Disruptive Technologien, angefangen bei „grüner“ Energie bis hin zum Internet der Dinge, sorgen für mehr Effizienz bei den Erzeugern. Durch eine Genrevolution entstehen verbesserte Saatsorten, mit denen sich die Erträge steigern lassen.

„Diese beiden Innovationen zusammen haben das Potenzial, die Landwirtschaft grundlegend zu verändern: Dank digitaler Technologien können die Erzeuger bis zur biologischen Ertragsgrenze der Pflanze gehen, und Biotech-Lösungen könnten die biologischen Grenzen weiter verschieben“, erklärt Fernando Martins, Partner der Consultingagentur Bain & Company.

Kurzfristig werden Erzeuger in der Lage sein, noch mehr zu ernten und die Produktionsfaktoren noch effizienter einzusetzen. Langfristig geht Burdett von Syngenta davon aus, dass die gesamte landwirtschaftliche Wertschöpfungskette von höherer Transparenz und Rückverfolgbarkeit profitieren wird.

Landwirtschaft im Digitalzeitalter

Digitaler Fortschritt ist ein grosser Bereich, in dem weitere bahnbrechende Entwicklungen zu erwarten sind. Durch die mobile Vernetzung haben die 1,5 Milliarden Kleinerzeuger, die den Löwenanteil der Nahrungsmittel in Südasien und Subsahara-Afrika produzieren, Zugang zu Finanzdienstleistungen, Subventionen und Preisinformationen. In den vergangenen zehn Jahren haben Mobiltelefone die Landwirtschaft in diesen Regionen völlig verändert. Wenn weitere 275–350 Millionen Erzeuger bis 2030 Zugang zu mobilen Services hätten, könnten bis zu 500 Millionen Nahrungsmittel zusätzlich produziert werden, so Schätzungen des Weltwirtschaftsforums.

Im Gegensatz zu anderen Branchen ist die Landwirtschaft relativ langsam, wenn es darum geht, digitale Tools der neuen Generation einzuführen. Das ändert sich gerade, wie die Vielzahl an Investitionen und Patenten für Agrartechnologie zeigt.

„2016 sind Investitionen in Agrartechnologie um 32% gegenüber dem Vorjahr gestiegen, weltweit beläuft sich das Volumen auf 2,6 Mrd. US-Dollar“, so Michael Dean, Mitbegründer von AgFunder, einem Online-Marktplatz für Agrarinvestoren.

Digitaltechnologien wie Satellitenbildgebung und das Internet der Dinge gibt es schon einige Zeit. „Neu ist, dass sie günstiger werden“, so Martins von Bain.

Grosse und mittelständische Betriebe praktizieren zunehmend eine „Präzisionslandwirtschaft“, für die Sensoren, Kameras, Drohnen und andere Mittel zur Datenerfassung zum Einsatz kommen, um in Echtzeit Zustandsvariablen wie Boden, Feuchtigkeit, Temperatur und Licht zu messen. Softwareprogramme analysieren die Informationen und intelligente Geräte bringen exakt die richtige Menge an Düngemittel oder Wasser aus. Durch die engmaschige Kontrolle von Variablen und erfassten Daten werden die Betriebe immer mehr zu Fabriken, mit dem Ziel, die Kosten zu senken und die Produktivität zu steigern. „Präzisionslandwirtschaft verbessert die Effizienz und erhöht die Wahrscheinlichkeit, einen finanziellen Nutzen aus der Investition zu ziehen“, so Burdett von Syngenta.

Da die Technologien immer besser werden, werden es auch die Ergebnisse. Selbstfahrende Traktoren und moderne Robotermaschinen, die Unkraut beseitigen, Düngemittel ausbringen oder Obst ernten, werden in der Präzisionslandwirtschaft bereits eingesetzt. Die für ihren Betrieb notwendigen Systeme entwickeln sich schnell weiter, sodass einige Experten glauben, dass Betriebe in reichen Regionen bald vom Büro aus gesteuert werden können. Das würde zumindest teilweise den Wegfall von landwirtschaftlichen Arbeitskräften infolge der Urbanisierung ausgleichen. Nach Schätzungen des Weltwirtschaftsforums könnten bis 2030 durch Präzisionslandwirtschaft möglicherweise 300 Millionen Tonnen zusätzlich durch Ertragsverbesserungen produziert werden und die Erzeuger bis zu 100 Mrd. US-Dollar einsparen. „Das Potenzial, dass diese neuen Technologien der Produktivität und Versorgungssicherheit einen kräftigen Schub geben, ist enorm“, so Dean.

Für die Erzeuger sind die Kosteneinsparungen interessant, aber auch die Umwelt würde profitieren. Das Weltwirtschaftsforum hat errechnet, dass bis 2030 durch Präzisionslandwirtschaft bis zu 20 Megatonnen CO2-Äquivalent eingespart und der Wasserverbrauch um bis zu 180 Mrd. Kubikmeter reduziert werden könnte. „Wenn man Ressourcen gezielt einsetzen kann, braucht man weniger davon“, so Bellù von der FAO.

Ein weiterer positiver Aspekt der intensiven Datenerfassung ist eine komplexere Risikomodellierung, was sich in besseren Versicherungsangeboten niederschlägt. Studien zeigen, dass der Abschluss von Versicherungen sich positiv auf Investitionen, Effizienz, Ernährung und Einkommen sowie die Risikobegrenzung auswirkt. Das Weltwirtschaftsforum schätzt, dass sich bis 2030 weitere 200–300 Millionen Erzeuger versichern werden. Das würde helfen, bis zu 150 Millionen zusätzliche Nahrungsmittel zu produzieren, und den Erzeugern ein zusätzliches Einkommen von 70 Mrd. US-Dollar sichern.

Die Genrevolution

Verbesserte Saatsorten waren entscheidend bei der „Grünen Revolution“, die in den 1940er-Jahren ihren Anfang nahm und zu einer beachtlichen Verdopplung der Produktion von Getreide, Hülsenfrüchten und Ölfruchtkulturen führte. In den Teilen der Welt, in denen intensive Landwirtschaft praktiziert wird, steigen die Erträge einiger wichtiger Kulturpflanzen nicht mehr. Verschiedene bahnbrechende Entwicklungen im Bioengineering könnte diese Grenze nach oben verschieben. „Das Züchten hat sich von einer Kunst zur High-Tech-Wissenschaft entwickelt“, so Michiel van Lookeren Campagne, Leiter Saatforschung bei Syngenta. „Es kommen laufend neue Methoden hinzu, sodass die Erträge stetig steigen.“

Überall auf der Welt entwickeln Wissenschaftler gentechnisch modifizierte Nutzpflanzen, die höhere Erträge bieten, Klimaextreme vertragen und resistent gegen Schädlinge oder Krankheiten sind. Ein wichtiges Beispiel ist ein globales, vom International Rice Research Institute koordiniertes Versuchsprojekt, bei dem es darum geht, C4-Reis zu entwickeln: eine Sorte, die effizienter Photosynthese betreiben kann. Mit einem neuen biochemischen Vorgang für die Photosynthese könnten die Erträge der zweitwichtigsten Nutzpflanze der Welt um 50% steigen.

Dieser neuen landwirtschaftlichen Revolution stehen jedoch noch einige Hindernisse entgegen. Bislang konzentrieren sich diese Technologien auf die ausgereiften Agrarmärkte in Nord- und Südamerika sowie Europa. Ihre Einführung kann eine grosse Herausforderung darstellen. „Die bestehenden Systeme sind ziemlich komplex ... und das schreckt einige Erzeuger ab“, erklärt Martins. „Es muss noch eine Anwendung entwickelt werden, die die vielen Bestandteile der Technologie in einer integrierten und einfach bereitzustellenden Benutzeroberfläche für die Erzeuger bündelt.“

Ärmere Länder, die besonders stark auf Ertragssteigerungen angewiesen sind, brauchen erst einmal eine bessere Staatsführung, Strassen und Schulen – nicht zu vergessen eine verbesserte Düngemittelproduktion, Lagermöglichkeiten und Grosshandelsmärkte –, bevor eine technologische Revolution überhaupt stattfinden kann. Die Kosten der Technologien für Präzisionslandwirtschaft müssen sinken, damit sie in einkommensschwachen Regionen in grösserem Stil eingesetzt werden können. Mittlerweile gibt es auch an diesen Orten günstige Lösungen und es werden weitere folgen, da die Kosten für die Datenerfassungshardware sinken. Überall auf der Welt haben Erzeuger mehr Möglichkeiten denn je, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren. „Technologie wird zu einer nachhaltigen Intensivierung der Landwirtschaft beitragen“, so Dr. van Lookeren Campagne. „Das wird sich deutlich auf das Wohlergehen von Erzeugern und der Bevölkerung insgesamt auswirken.“

Dieser Artikel wurde von The Economist Intelligence Unit verfasst. Ursprünglich veröffentlicht wurde er auf: https://innovationmatters.economist.com/food-for-the-future-sustaining-eiu