Erneuerbare Energien plus Wasserstoff: die Formel für eine CO2-freie Zukunft

Wasserstoff könnte der Schlüssel für eine CO2-freie Zukunft sein, weil er für die Speicherung erneuerbarer Energie, als Treibstoff für Flugzeuge und als Energieträger für den Betrieb von Produktionsanlagen genutzt werden kann.

Damit eine CO2-freie Zukunft Wirklichkeit werden kann, brauchen wir einen massiven Schub für erneuerbare Energien. Das würde eine vollständige Elektrifizierung ermöglichen – bei Transport, Heizen, industrieller Energie und mehr. Aber das allein wird nicht reichen. Das Problem ist, dass erneuerbare Energieträger alles andere als die perfekte Stromquelle sind. 

Sie erzeugen bei Sonne oder Wind mehr Elektrizität, als wir verbrauchen können, aber nachts oder wenn es windstill ist, ist die Ausbeute gleich null. 

Im Vereinigten Königreich zum Beispiel schwankte der Anteil von Windkraft an der gesamten Stromerzeugung im August an einem einzigen Tag zwischen 5% und 61%. Hier kann Wasserstoff helfen. Er ist in jeder Hinsicht der Schlüssel, um erneuerbare Energie effizienter zu machen. 

Wenn der erzeugte Überschuss an erneuerbarer Energie günstig und sauber in Wasserstoff umgewandelt werden könnte, würde sich eine ganz neue Welt von Möglichkeiten eröffnen. 

Mit den richtigen Prozessen kann der aus Sonnen- und Windkraft erzeugte Wasserstoff wieder in Strom umgewandelt oder als Alternative zu fossilen Energieträgern z. B bei der Stahlproduktion genutzt werden. Er kann auch als energietragender Hauptbestandteil für die Herstellung von synthetischen Flugzeug-Treibstoffen genutzt werden.

Die Wasserstoff-Revolution ist bereits in vollem Gange. In Orkney, an der schottischen Nordwestküste, haben Versorgungsunternehmen begonnen, überschüssige Windenergie in Wasserstoff umzuwandeln, der dann zum Heizen und für die Herstellung von Brennstoffzellen für Kleinflugzeuge genutzt werden kann. 

Das schwedische Stahlunternehmen SSAB setzt Wasserstoff in der Stahlproduktion ein. In Australien nutzt der Düngemittelproduzent Yara Wasserstoff, um Ammoniak für die Produktion von CO2-freiem Dünger herzustellen. In Norwegen plant das Industriekonsortium Norsk e-Fuel die erste europäische kommerzielle Anlage, die CO2 aus der Luft gewinnt und mit Wasserstoff zusammenführt, um erneuerbaren Treibstoff für Flugzeuge herzustellen. 

Im Moment sind solche Projekte relativ teuer, da aber die Kosten für die Wasserstofferzeugung und die CO2-Abscheidung fallen, wird der Abstand zu fossilen Energieträgern immer kleiner. 

Noch 2011 hätte niemand gedacht, dass die Kosten für Solarenergie so schnell exponentiell sinken. Dasselbe scheint in einigen Teilen der Welt mit dem Umstieg auf Elektrofahrzeuge zu passieren. In Deutschland liegt der Anteil schon jetzt bei etwa 10% des Gesamtabsatzvolumens. Wasserstoff – das heisst die grüne Variante (siehe Box) – könnte die nächste Überraschung sein. 

Der norwegische Gasproduzent Nel ASA möchte es bis 2025 schaffen, grünen Wasserstoff zu einem Preis von 1,50 US-Dollar pro Kilo herzustellen; die Kosten könnten damit in vielen Teilen der Welt unter denen für die Herstellung von grauem Wasserstoff liegen. Der fallende Preis für erneuerbaren Strom ist entscheidend, denn die Kosten von grünem Wasserstoff werden von den Energiekosten bestimmt, die zunächst für die Gewinnung von Wasserstoff anfallen. Die Kosten von Elektrolyseuren sind ebenfalls relevant, fallen aber nicht allzu sehr ins Gewicht.

Regulierung kann helfen, diesen Prozess zu beschleunigen. Eine CO2-Steuer von 50–100 US-Dollar pro Tonne macht fast alle diese Technologien, die auf grünem Wasserstoff basieren, zukunftsfähig. Diese Chance haben auch die Regierungen erkannt. Wasserstoff ist zentrales Element des europäischen „Green Deal“ – die EU plant bis 2024 die Installation von Elektrolyseuren für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff mit einer Elektrolyseleistung von mindestens 6 Gigawatt.   Auch Joe Biden in den USA hat das auf dem Radar.

Eine weitere Herausforderung ist der Transport. Auch wenn sich Wasserstoff viel günstiger als Elektrizität über lange Strecken transportieren lässt, gibt es anderweitige Probleme. Er kann in flüssiger Form transportiert werden, aber es ist jede Menge Energie nötig, um ihn in diesen Zustand zu bringen. Ausserdem geht das nur bei sehr kalten Temperaturen. Vielleicht ist es effizienter, ihn in Form von Ammoniak oder eines flüssigen organischen Trägers zu transportieren – das sind zwei grosse Themen, mit denen sich die Forschung auseinandersetzen muss.

Ich gehe davon aus, dass sich eine vollständige Dekarbonisierung durch  massives Wachstum bei erneuerbaren Energien vollziehen wird. Das wird die Elektrifizierung von nahezu allem ermöglichen, einhergehend mit einem Anstieg der Wasserstoffproduktion und -verteilung.  Mit einer zweigleisigen Lösung aus Wasserstoff plus erneuerbarer Energie lässt sich der Grossteil der globalen Wirtschaft dekarbonisieren. 

Wasserstoff hat viele Farben

Über

Chris Goodall

Chris Goodall ist Consultant und Berater für Investoren und Unternehmen auf dem Gebiet der kohlenstoffarmen Energien und der Kreislaufwirtschaft. Er ist wissenschaftlicher Gutachter für die Fachzeitschrift „Biomass and Bioenergy“ und seine Artikel wurden im Guardian, The Ecologist und Abundance Generation veröffentlicht. Er ist Autor von fünf Büchern zu den Themen Energie und Umwelt, unter anderem Ten Technologies to Fix Energy and Climate, The Green Guide for Business, How to Live a Low-carbon Life und The Switch. Er veröffentlicht auch regelmässig Beiträge in seinem Blog Carbon Commentary.

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