Neue Wege in der Produktion

Können intelligente Technologien dem Hinterhofbetrieb zum Comeback verhelfen?

Moderne digitale Technologien haben die Massenproduktion bereits revolutioniert. Der nächste Schritt besteht darin, den Ort der Produktion zu verändern – und den Produzenten. Dank innovativer Geräte wie 3D-Druckern in Kombination mit steigender Konnektivität und Open-Source-Software können immer mehr Unternehmer Dinge selbst fertigen und Designs und Ideen ungehindert online austauschen. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten scheint es wieder möglich, dass sich ein wesentlicher Teil der Produktion von riesigen, weit entfernten Fabriken zurück in unsere Umgebung verlagert.

Markus Böhm vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA meint, dieser Trend werde durch die Nachfrage nach personalisierten Produkten angetrieben. „Die Massanfertigung haben wir schon immer bevorzugt, doch personalisierte Produkte waren bisher unwirtschaftlich“, so Böhm. „Dank der Automatisierung können personalisierte Produkte nun mit einer kurzen Lieferzeit für die Kunden gefertigt werden.“

Laut Finbarr Livesey, Dozent für Public Policy an der University of Cambridge, spielen andere Faktoren eine Rolle. „Druck durch Automatisierung, Umweltvorschriften, die sich verändernden Transportkosten – all das begünstigt kürzere Lieferketten“, so Livesey.

Das neue Zeitalter der additiven Fertigung

Sein Potenzial in der lokalen Produktion hat der 3D-Druck bereits unter Beweis gestellt. Dank der Technologien, die unter diesen Oberbegriff fallen und nach Jahren des Hypes nun langsam ausgereift sind, kann ein Produkt am Computer entwickelt und dann Schicht für Schicht als festes Objekt „ausgedruckt“ werden. Die Software eines Druckers lässt sich problemlos anpassen, sodass der 3D-Druck inzwischen eine beliebte Methode zur Fertigung personalisierter Produkte in geringen Stückzahlen darstellt. „Damit wird etwas ganz Fantastisches möglich: die individuelle Massenproduktion“, erklärt Professor Tim Minshall, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik an der University of Cambridge.

Die Ohrpassstücke von Hörgeräten und Zahnkronen werden bereits millionenfach mit 3D-Druckern hergestellt. Der Sportartikel-Riese Adidas nutzt die Technologie seit Kurzem, um in seinem Mutterland Deutschland Schuhsohlen zu drucken. Da sich die Geräte gut zur Herstellung leichter, widerstandsfähiger Komponenten eignen, haben sie auch in der Fertigung von hochwertigen Produkten wie Autos oder Flugzeugen ihren Platz. So hat beispielsweise der Flugzeugbauer Airbus festgestellt, dass die Kabelhalter aus Kunststoff, die in seinen Flugzeugen überall zum Einsatz kommen, mit 3D-Druckern 70 Prozent schneller und 80 Prozent günstiger hergestellt werden können.

Die additive Fertigung, wie der 3D-Druck offiziell heisst, könnte sich besonders bei der Produktion von Ersatzteilen als nützlich erweisen. Dies wiederum könnte dazu führen, dass Produkte wie Autos oder Elektronikartikel nicht mehr so schnell ausrangiert werden. „Stellen Sie sich vor, ein beliebiges Teil kann ausgetauscht werden, und zwar wo Sie wollen und wann Sie wollen“, sagt Minshall. „Das ändert das gesamte Konzept von Produktion und Verbrauch. Auf einmal müssen nicht mehr 10.000 Meilen zwischen London und Peking überbrückt werden, sondern es ist vielleicht effizienter, das Teil gleich vor Ort zu fertigen. Das stellt die gesamte wirtschaftliche Basis der Produktion auf den Kopf.“

Minshall glaubt, der 3D-Druck wird besonders in Branchen von Nutzen sein, die mit schwierigen Lieferketten konfrontiert sind. Die internationale Raumstation wurde vor Kurzem mit einem 3D-Drucker ausgestattet, mit dem Werkzeuge und Teile nun selbst ersetzt werden können, statt sich auf Nachschub von der Erde verlassen zu müssen. Auf See nutzen Schiffe von Maersk die Technologie, um Ersatzteile zu fertigen, mit denen die Crew es zurück in den Hafen schaffen kann. Das Militär kann additive Technologien einsetzen, um Ersatzteile in Kriegszonen herzustellen, so Minshall. In Flüchtlingslagern wurden sie genutzt, um Wasserrohre zu flicken und das medizinische Inventar aufzustocken, was den Organisationen lange Wartezeiten bis zur Zollfreigabe ihrer Einfuhren ersparte.

Solche modernen Fertigungstechnologien waren einst fest in der Hand grosser Unternehmen. Doch heute entstehen immer mehr Makerspaces, offene Werkstätten und Fabrikationslabore, sogenannte FabLabs, die sie zur Verfügung stellen. Dass Unternehmer diese Technologien nutzen können, haben sie auch einer weiteren entscheidenden Entwicklung zu verdanken: freien Lizenzmodellen und Open-Source-Software, die das weltweite Teilen von Designs und Fertigungssoftware fördern.

„Digitale Technologien, sowohl im Bereich der Produktion als auch der Kommunikation, ermöglichen es, dass diese Methode der Herstellung auch kleineren Akteuren zur Verfügung steht“, so Elizabeth Corbin, Doktorandin am Institute of Making in London. „Das bedeutet, dass Innovationen nun nicht mehr nur von den monetären Interessen grosser Unternehmen und ihrer Aktionäre angetrieben werden, sondern auch von den sozialen und ökologischen Ambitionen sozialer Initiativen und Gemeinschaften.“

Mit den Montagelinien in Fernost können es diese Räume nicht aufnehmen. Doch Verfechter des Konzepts halten dagegen, dass sie Freiräume für einen Austausch und die Entwicklung neuer Lösungen schaffen. Rund um den Globus werden in Makerspaces Solar- und Windkraftanlagen, kabellose Datennetzwerke und Analyse-Tools für die Landwirtschaft und das Gesundheitswesen entwickelt. Auch grosse Unternehmen wie General Electric interessieren sich bereits für sie.

Minshall, der ihnen einst skeptisch gegenüberstand, sieht inzwischen ihr Potenzial. „Makerspaces und FabLabs waren anfangs etwas für Hobbybastler, doch sie haben das Potenzial, sich zu lokalen Produktionszentren zu entwickeln“, sagt er. „Sie werden die Produktion in grossen Unternehmen nicht ersetzen, doch sie können sie in sehr interessanter Weise ergänzen.“

Die grosse Wende

Mit zunehmender Weiterentwicklung der Technologien und Ausbreitung lokaler Fertigungszentren sollten die Verbraucher auch von niedrigeren Preisen profitieren. „Es gibt keine Logistik vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Bewegt werden Informationen, nicht Ressourcen“, erklärt Böhm vom Fraunhofer-Institut. „Autonome Systeme ermöglichen die Fertigung personalisierter Produkte zu den Kosten der Massenproduktion“, fügt seine Kollegin Susann Kärcher hinzu.

Durch die Einrichtung von 3D-Druck-Zentren oder Produktionslinien, die zu einer individuellen Massenproduktion in der Lage sind, bietet sich reichen Ländern die Möglichkeit, Jobs in der Industrie wiederzubeleben und sich unabhängiger zu machen. Böhm und Kärcher rechnen mit der Entstehung von „Mikrofabriken“, wenn die Hardware erst einmal kleiner geworden und die Kosten gesunken sind. Im Bereich der Fotografie beispielsweise wurden die Dunkelkammern durch Fotodruckstationen ersetzt, die die Bilder direkt ohne lange Wartezeit ausspucken.

„Grossbritannien hat seine Dominanz in der Produktion eingebüsst, weil Unternehmen, die grenzüberschreitend agieren können, immer versuchen werden, den billigsten Produktionsstandort mit der geringsten Distanz zu den nötigen Personal- und Materialressourcen zu finden“, meint James Tooze, Dozent für Produktdesign am Royal College of Art. „Digitale Fertigungstechnologien haben das Potenzial, diese Logik zu durchbrechen.“

Die meisten Experten, mit denen The Economist Intelligence Unit gesprochen hat, waren ebenfalls der Ansicht, dass eine wieder stärker lokal angesiedelte Produktion die globalen Lieferketten nicht ersetzen, sondern ergänzen würde. Einfache Güter aus der Massenproduktion wie beispielsweise Kugelschreiber fertigt man besser mit Skaleneffekten. Für komplizierte Produkte wie Smartphones wiederum benötigt man Materialien aus Minen am anderen Ende der Welt. Und doch „liessen sich so viele unserer gängigen Materialien und Möbel lokal herstellen“, meint Corbin. „Das Wichtigste ist, dass wir ein besseres Gespür dafür entwickeln, was global und was vor Ort hergestellt werden sollte.“

Eine bessere Produktion für eine bessere Gesellschaft

Durch eine dezentrale und demokratisierte Produktion könnten einige teure Produkte, insbesondere Nischenprodukte, den Menschen, die sie brauchen, deutlich günstiger zur Verfügung gestellt werden – z. B. individuell angefertigte Prothesen. Doch am meisten könnte die Umwelt profitieren. Dank Echtzeitinformationen und digitalen Fertigungstechnologien wie dem 3D-Druck können Hersteller genau das produzieren, was gebraucht wird, ganz ohne Abfälle. Ein Produkt, das nah an seinem Bestimmungsort hergestellt wird, verursacht bei seinem Transport weniger CO2-Emissionen. Und wenn Radios und Kühlschränke vor Ort repariert werden können, verlängert sich ihre Nutzungsdauer.

Mit einer lokal angesiedelten Produktion liesse sich auch das Ziel einer Kreislaufwirtschaft besser erreichen, in der Teile wiederverwertet und einem neuen Zweck zugeführt werden können. „Wie gross der ökologische Fussabdruck eines Produkts sein wird, entscheidet sich zu einem grossen Teil bereits in der Entwicklungsphase“, so Corbin. Durch intelligente Verbundmechanismen, einfachere Designs, die Reparaturen zulassen, und Materialien, die lokal recycelt und biologisch abgebaut werden können, kann die Produktion ihrer Meinung nach nachhaltiger werden: „Es geht darum, Materialien zu wählen, die vor Ort reichlich vorhanden sind, und Produkte so zu fertigen, dass die Materialien zurückgewonnen und recycelt werden können.“

Das sieht Tooze genauso. „Wir können die Produktentwicklung und ‑herstellung besser auf die lokal verfügbaren Ressourcen und die vorhandene Recyclinginfrastruktur abstimmen“, meint er. „Entscheidend ist, für eine Verhältnismässigkeit zwischen Ort und Produkt zu sorgen. Wenn uns das gelingt, dann wird es wahrscheinlicher, dass wir Schaden von der Umwelt abwenden können.“

Dieser Artikel wurde von The Economist Intelligence Unit verfasst. Ursprünglich veröffentlicht wurde er auf:
https://innovationmatters.economist.com