E-Commerce nach afrikanischer Art

Afrikas wachsende Mittelschicht ist unterversorgt mit E-Commerce. Ein neues Unternehmen, Afrimarket, möchte das ändern.

Die Gründer von Afrimarket, Jeremy Stoss und Rania Belkahia

Man mag es kaum glauben, aber es gibt noch Regionen, die nicht fest in der Hand von Amazon sind.

Zum Beispiel grosse Teile Afrikas. Der internationale Versandhandelsriese deckt weite Teile des Globus ab, doch auf dem zweitgrössten und zweitbevölkerungsreichsten Kontinent der Erde hat er bisher kaum Spuren hinterlassen.

Auf den ersten Blick erscheint das widersinnig.

Afrikas Mittelschicht wächst rasant, und ein Ende dieses Wachstums ist angesichts der positiven wirtschaftlichen Entwicklung in immer mehr Ländern auf dem Kontinent nicht in Sicht. Gleichzeitig steigt auch die Telekommunikations- und Internetdurchdringung steil an. 

Daraus ergeben sich enorme Potenziale für junge Onlinehandelsunternehmen – vor allem wenn man bedenkt, dass die globalen Internetriesen noch keine beherrschende Stellung auf dem Markt innehaben. 

 „Entgegen der landläufigen Vorstellung wollen afrikanische Verbraucher hochwertige Produkte und gar nicht unbedingt billige“, erklärt Rania Belkahia, Mitbegründerin von Afrimarket, einem französischen Unternehmen, das vor fünf Jahren gegründet wurde und in fünf westafrikanischen Ländern eine breite Palette an Qualitätsprodukten und Mehrwertdiensten anbietet. Dem Start-up ist es gelungen, 20 Millionen EUR von verschiedenen Investoren für sich zu gewinnen.

„Sie wollen Produkte mit Garantie. Sie wollen Dienstleistungen, die mit westlichen Standards mithalten können. Doch wenn man sich anschaut, wie das Angebot in den einzelnen Ländern aussieht und wie schlecht die lokale Infrastruktur ist, dann ist es aktuell sehr schwierig, hochwertige Dienstleistungen bereitzustellen.“

Infrastrukturprobleme überwinden

Der Trick, um die schlechte Infrastruktur zu kompensieren und die Art von Waren und Dienstleistungen bereitzustellen, die die Mittelschicht verlangt, bestand darin, bereits vorhandene Technologien zu nutzen und auf lokales Know-how zurückzugreifen. 

„Wir übernehmen die Lieferung von Anfang bis Ende – von unserem Fulfillment Center bis hin zur Zustellung beim Kunden“, so Belkahia. „Dafür haben wir eine eigene Versandplattform mit eigenem Zustellpersonal, eine technische Software, die auf die mangelnde Infrastruktur in Afrika abgestimmt ist, und eine eigene Flotte aufgebaut.“

Zu Beginn lag der Schwerpunkt von Afrimarket auf Auswanderern, die Geld und Waren nach Hause schicken wollten. Herkömmliche Vermittler in diesem Bereich sind berüchtigt für ihre hohen Preise: Bei Transfers in afrikanische Länder fressen Gebühren und Kursdifferenzen oft mehr als 10 Prozent des Überweisungsbetrags auf. Gleichzeitig fürchten Auswanderer häufig, dass das an Verwandte geschickte Geld nicht für das verwendet wird, wofür es gedacht war, zum Beispiel Essen, Medikamente oder Unterrichtsgebühren. 

Um dieses Problem zu lösen, schuf Afrimarket  ein Gutscheinsystem. Die Gutscheine wurden dabei an einen bestimmten Händler geschickt, bei dem der Empfänger die Produkte, die der Absender bezahlen wollte, dann abholen konnte. Im Ausland arbeitende Afrikaner konnten sich so in ihren Afrimarket-Account einloggen, den gewünschten Überweisungsbetrag eingeben, den Händler auswählen, der den Betrag erhalten sollte, die Handynummer des Empfängers angeben, damit dieser benachrichtigt wird, und auf Senden klicken. Indem Geldtransfer-Anbieter und andere Mittelsmänner ausgeschlossen und stattdessen Mobilfunkverbindungen genutzt wurden, konnten die Überweisungskosten gesenkt werden.

Doch als der ungedeckte Bedarf im lokalen Einzelhandel nach und nach immer offensichtlicher wurde, verlagerte Afrimarket den Schwerpunkt seines Geschäfts. Inzwischen erwirtschaftet das Unternehmen 80 Prozent seines Umsatzes innerhalb Afrikas und erzielt monatliche Wachstumsraten von gut 20 Prozent. 

„Wir fingen an, eine Handelsplattform mit einem handverlesenen Angebot aufzubauen. Bei uns dürfen nicht die Lieferanten entscheiden, welche Produkte ins Regal kommen: Wir entscheiden, was wir verkaufen. Dadurch stellen wir sicher, dass wir hochwertigen Service anbieten, der einen Mehrwert schafft und uns von anderen E-Commerce-Diensten abgrenzt“, so Belkahia. „Den gleichen Nutzen, den wir unseren Kunden bieten, bieten wir auch internationalen Marken... Wir helfen Marken dabei, den Markt zu verstehen, ihr Produkt und ihr Marketing an die Erwartungen afrikanischer Verbraucher anzupassen.“

SS Africa mobile subscribers

Potenziale nutzen

Der Erfolg des Unternehmens zeugt vom schlummernden Potenzial Afrikas im E-Commerce-Bereich. 

Das rasante Wachstum im Mobilfunksektor und immer günstigere Solarzellen tragen zusätzlich dazu bei, die Ausbreitung des Onlinehandels auf dem Kontinent voranzutreiben. Die Mobilfunkdurchdringung im Afrika südlich der Sahara betrug im Jahr 2017 44 Prozent – zu Beginn des Jahrzehnts lag sie noch bei gerade einmal 25 Prozent. Dieser Wert wird bis 2025 voraussichtlich auf 52 Prozent steigen. Dann könnten die Afrikaner bei einer Einwohnerzahl von rund 1,5 Milliarden rund 690 Millionen Smartphones besitzen. 

Und die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte sprechen dafür, dass die afrikanische Mittelschicht im gleichen Tempo mitwachsen wird. In den vergangenen zehn Jahren ist die Wirtschaft der Elfenbeinküste jährlich um 5,8 Prozent, die Ghanas um 7,2 Prozent und die anderer westafrikanischer Nachbarstaaten um 4 bis 5 Prozent gewachsen. Zugegeben – zum Teil ist dies auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen. Doch das Pro-Kopf-BIP ist ebenfalls gestiegen. In Dollar gemessen hat der durchschnittliche Ghanaer und Nigerianer im vergangenen Jahr eine viermal höhere Wirtschaftsleistung generiert als noch im Jahr 2000. Im Senegal und an der Elfenbeinküste hat sich das BIP pro Kopf verdoppelt.  

In den meisten Ländern des Kontinents liegt die Alphabetisierungsrate unter Jugendlichen bei mehr als 70 Prozent – wobei man sich ins Gedächtnis rufen sollte, dass noch im Jahr 1950 gerade einmal 35 Prozent der Menschen weltweit lesen und schreiben konnten – und mehr als 80 Prozent der Kinder besuchen die Schule. Extreme Armut ist spürbar zurückgegangen – in den letzten 25 Jahren von 58 Prozent der Bevölkerung im Afrika südlich der Sahara auf rund 40 Prozent. 

Zusätzlich beflügeln sollte den E-Commerce, dass immer mehr Afrikaner Zugang zu Technologien erlangen, welche die schlechte Qualität der Infrastruktur kompensieren, die das Wachstum in der Vergangenheit so oft behindert hat. 

Typischerweise entwickeln Menschen mit zunehmendem Wohlstand und Bildungsstand auch die politische Schlagkraft, um eine bessere Regierung, bessere Sozialleistungen wie Bildung, eine bessere Infrastruktur und einen funktionierenden Rechtsstaat einzufordern. Es entwickelt sich eine Aufwärtsspirale. Und wenn die Bevölkerung wächst, wächst auch die Mittelschicht. Was für Unternehmen wie Afrimarket zusätzliche Chancen eröffnet.