Biologisch, praktisch, gut: Biokunststoffe

Biokunststoffe, die aus nachhaltigen Produkten statt aus Erdöl gefertigt sind, könnten die Lösung für eines der grössten ökologischen Probleme unseres Planeten bereithalten.

Kunststoffe haben einen schlechten Ruf. Ihre Herstellung nimmt nicht nur 5 Prozent des weltweiten Erdöls in Anspruch, ihre Wiederverwertung ist darüber hinaus auch schwierig und sie sind nicht biologisch abbaubar.

Zudem können sie unsere natürliche Umwelt noch Jahrhunderte belasten, wie es die wegweisende Dokumentationsreihe „Der blaue Planet“ der BBC auf dramatische Weise deutlich gemacht hat.

Das war nicht immer so. Die ersten Kunststoffe, die Mitte des 19. Jahrhunderts aufkamen – wie etwa Parkesin („synthetisches Elfenbein“), aus dem Kämme, Schachfiguren und Zahnprothesen gefertigt wurden – waren nicht aus wertvollen fossilen Brennstoffen hergestellt, sondern aus nachhaltigen Materialien.

Der Hauptbestandteil von Parkesin war eine flüssige Nitrocellulose-Lösung, die durch die Destillation von Holz gewonnen wurde. Casein wurde aus Milch hergestellt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden diese Materialien jedoch durch kostengünstige und leicht formbare Kunststoffe auf Erdölbasis ersetzt, die während des Zweiten Weltkriegs entwickelt worden waren.

Heute, da ökologische Aspekte zunehmend an Bedeutung gewinnen und der Preisunterschied zwischen natürlichen und menschengemachten Kunststoffen durch die neuesten technischen und wissenschaftlichen Fortschritte immer kleiner wird, besinnen sich viele Unternehmen wieder auf die natürlichen Wurzeln der Kunststoffe zurück. Prognosen des Branchenverbands European Bioplastics zufolge wird die Produktion nachhaltiger Biokunststoffe, die 2016 noch bei 4,2 Millionen Tonnen lag, bis 2021 auf rund 6,1 Millionen Tonnen ansteigen.

Problemfeld biologische Abbaubarkeit

Ein Unternehmen, das den Trend frühzeitig erkannte, war Coca-Cola. 2009 stellte der internationale Getränkekonzern seine PlantBottle vor: die erste wiederverwertbare Kunststoffflasche aus Polyethylenterephthalat (PET), die teilweise (zu 30 Prozent) aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellt wurde.  Inzwischen sind nicht nur rund ein Drittel der in Nordamerika verkauften Coke-Flaschen PlantBottles, die Technologie wurde auch so stark weiterentwickelt, dass PlantBottles heute vollständig aus pflanzlichen Stoffen gefertigt werden können. Das gleiche Verfahren wird auch für Ketchup-Flaschen von Heinz und die Innenausstattung von Ford-Hybridfahrzeugen genutzt.

Die Flaschen sind zwar nicht biologisch abbaubar, dafür aber leicht wiederzuverwerten. Von herkömmlichen Plastikbeuteln, Einwegbestecken und Verpackungen aus Kunststoff lässt sich das nicht behaupten: Sie alle landen auf Deponien oder in den Weltmeeren. Wenn die Kunststoffbranche nachhaltig werden will, müssen ihre Produkte in Zukunft jedoch auch biologisch abbaubar sein.

Biologisch abbaubare Biokunststoffe existieren bereits und kommen schon seit Jahren auf einigen Nischenmärkten zum Einsatz, zum Beispiel in Form von selbstauflösendem chirurgischem Nahtmaterial. An der flächendeckenderen Verbreitung hapert es jedoch, da sie nicht alle Merkmale herkömmlicher Kunststoffe bieten oder – falls doch – sie preislich nicht wettbewerbsfähig sind. „Die Herstellungskosten von Biokunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen sind in der Regel zwischen zwei- und viermal höher als die traditioneller Kunststoffe auf Erdölbasis“, erklärt Miguel Alborch, Ingenieur in der Forschungsabteilung des spanischen Technologiezentrums AINIA.

Dieser Preisunterschied lässt sich zum Teil durch neue Technologien und durch die erreichbaren Skaleneffekte in modernen Bioraffinerien ausgleichen, in denen Biomasse in nutzbare Biokraftstoffe und Biochemikalien umgewandelt wird.

Bio-on ist ein Biokunststoffunternehmen, das eine solche Anlage aktuell in der Nähe von Bologna, Italien, aufbaut. Dort will es seine MINERV-PHA-Biopolymere herstellen, die in verschiedensten Produkten von Spielzeugen und Möbeln bis hin zu Anwendungen in der Biomedizin und der Automobilindustrie zum Einsatz kommen. „Als Rohstoffe können wir die Nebenprodukte der Zuckerrüben- und Zuckerrohrproduktion, Glycerin (Biodiesel-Abfall), Abfallprodukte der Kartoffelverarbeitung und viele andere Stoffe nutzen“, erklärt Unternehmensvorstand Marco Astorri.

MINERV-PHAs werden wie Holz vollständig und auf natürliche Weise zersetzt, wenn sie in Fliessgewässer oder Böden gelangen. Nach ihrer Fertigstellung 2018 sollen in der neuen Anlage von Bio-on jährlich 1.000 Tonnen der Biopolymere hergestellt werden. Langfristig bietet sie Kapazitäten für die doppelte Menge.

Ein weiterer Biokunststoffhersteller ist Novamot. In seinen MATER-BI-Biokunststoffen werden Polymere auf Erdölbasis oder nachwachsende kompostierbare Polymere aus der Landwirtschaft mit Stärke kombiniert, um mechanisch stabile Strukturen zu schaffen, die für Verpackungen, Einkaufsbeutel, Plastikbesteck und vieles mehr genutzt werden können. „In ihren Leistungsmerkmalen stehen die Produkte herkömmlichen Kunststoffen in nichts nach, und sie sind sehr schnell biologisch abbaubar“, sagt Stefano Facco, Business Development Director des Unternehmens.

Die Einkaufsbeutel von Novamot – die nur geringfügig teurer sind als herkömmliche Beutel – werden weltweit von zahlreichen Einzelhandelskonzernen vertrieben, unter anderem in den britischen Co-op-Supermärkten. Die Verpackungen des Unternehmens wiederum nutzt Aethic für seine Hautpflegeprodukte.

Neue Verpackung für Käse

Andere Akteure verfolgen andere Entwicklungsansätze für biologisch abbaubare Biokunststoffe. So möchte beispielsweise das EU-Projekt LIFE+ WHEYPACK ein biologisches Verfahren zur mikrobiellen Fermentierung von Molke, einem Nebenprodukt der Käseherstellung, nutzen, um ein biologisch abbaubares Verpackungsmaterial für Milchprodukte herzustellen.

Durch die Umwandlung biologischer Abfälle – ganz gleich, ob aus der Käseproduktion oder aus anderen Branchen – in Kunststoffe liessen sich zwei Probleme lösen: Die Umweltverschmutzung durch biologische Abfälle liesse sich eindämmen und gleichzeitig könnten nachhaltigere Kunststoffe geschaffen werden.

„Allein in Europa fallen in der Käseherstellung jährlich schätzungsweise 75 Millionen Tonnen Molke an. Davon werden rund 40 Prozent entsorgt und als Lebensmittelabfall behandelt“, sagt Projektleiter Miguel Alborch.

„WHEYPACK ist ein kreislauforientiertes Projekt: Die Abfallproduzenten – die Käsehersteller – können Gewinne erzielen, indem sie die überschüssige Molke nutzen, um eine zu 100 Prozent biologisch abbaubare Verpackung für Käse zu fertigen, die genau auf die Anforderungen ihres Produkts abgestimmt ist.“

Angesichts solcher Fortschritte stellt sich die Frage: Könnte das über kurz oder lang das Ende für herkömmliche Kunststoffe bedeuten?