Die Wissenschaft von der Ernährung der Welt

Wissenschaftler haben enorme Fortschritte in der Biologie und Genetik gemacht und sind jetzt in der Lage, Nahrungspflanzen an die Umgebung und an die Bedürfnisse der Verbraucher anzupassen.

2012 machte Jason White, Toxikologe am US Center for Sustainable Nanotechnology, eine Entdeckung, die ein ganz neues Licht auf Nahrungspflanzen warf. Er untersuchte, wie Kupfer-Nanopartikel, die antimikrobielle Eigenschaften haben und in verschiedenen Bereichen der Landwirtschaft und Medizin eingesetzt werden, in das Lebensmittelsystem gelangen können, wo sie möglicherweise eine Gesundheitsrisiko darstellen.

Nachdem er die Blätter von Maispflanzen mit den Nanopartikeln besprüht hatte, beobachtete er, dass viele der Partikel bis in die Wurzeln gelangten. „Ein Pflanzenphysiologe erklärte mir, dass das physisch nicht möglich sei“, so White. „Alle waren sich sicher, dass Pflanzen Substanzen nur von den Wurzeln zu den Blättern transportieren können, nicht umgekehrt.“

White nutzte die neu gewonnene Erkenntnis, um die Fähigkeit von Pflanzen zu verbessern, Nährstoffe aufzunehmen, die sie brauchen, um gegen Krankheiten resistent zu sein. Eine typische Nutzpflanze werde laufend von durchschnittlich rund 50 Pathogenen attackiert. Fehlen essentielle Nährstoffe wie Kupfer, Kieselsäure und Phosphor, sind sie häufig anfälliger, vor allem an den Wurzeln. Die herkömmliche Lösung besteht darin, diese Nährstoffe in den Boden einzubringen. Das ist aber wenig effektiv, denn nur 10% gelangen in die Pflanze. Mithilfe der von ihm als „Agrar-Nanotechnologie“ bezeichneten Methode kann White einfach die Blätter besprühen, damit Nährstoffe zu den Wurzeln befördert werden.

Whites Entdeckung ist nur eine von vielen technologischen Fortschritten in der Landwirtschaft. Viele Experten glauben, dass dieser Fortschritt die Welt genauso tiefgreifend verändern wird wie die „grüne Revolution“ in den 1960er Jahren. Damals wurde die Produktivität drastisch nach oben geschraubt, was auch nötig war, um die wachsende globale Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Die heutigen Fortschritte lassen darauf hoffen, dass die Nahrungsmittelversorgung bis zum Ende des Jahrhunderts gesichert ist. Das wäre schon beachtlich. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen schätzt, dass Erzeuger die Nahrungsmittelproduktion bis 2050 um 60% erhöhen müssen, um Hungerkatastrophen und Mangelernährung entgegenzuwirken. Erschwerend kommt hinzu, dass der Klimawandel die Ernten zerstört und neue Anbauflächen nur schwer zu finden sind.

„2050 werden 9 Milliarden Menschen auf dem Planeten leben“, so White. „Wenn sich nicht grundlegend etwas daran ändert, wie wir Nahrungsmittel anbauen, werden wir nicht ansatzweise in der Lage sein, sie zu ernähren.“

Einschneidende Problemlösung 

Während sich White darauf konzentriert, optimale Bedingungen für Wachstum zu schaffen, versuchen andere, die Pflanzen selbst zu optimieren. Die CRISPR-cas9 Genome Editing-Technologie kommt in vielen Branchen zum Einsatz, die nichts mit Medizin zu tun haben – auch in der Landwirtschaft.

CRISPR nutzt bakterielle DNA, die den Weg zum Ziel zeigt, und schneidet bestimmte Stücke aus dem Genom eines Organismus heraus. Gelingt es den Forschern, bestimmte Gene in einer Pflanze zu identifizieren, die deren Entwicklung hemmen oder ihr Leben bedrohen, können sie diese mithilfe von CRISPR eliminieren oder zumindest ihre Wirkung begrenzen. Das Gute an dem Verfahren ist, dass dabei nicht die umstrittene Methode der Gentransplantation zum Einsatz kommt.

Nigel Taylor, führender Forscher am Donald Danforth Plant Science Center in St. Louis, USA, deaktiviert Gene bei Maniok-Pflanzen, die diese anfällig für ein Virus machen, das die Wurzeln bräunlich verfärbt und grossen Schaden bei Erzeugern in Ostafrika anrichten. Andere Forscher nutzen CRISPR, um glutenfreien Weizen  und Erdnüsse zu entwickeln, die keine allergischen Reaktionen mehr hervorrufen.

„Vor fünf Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen“, so Taylor.

CRISPR kann Pflanzen auch so modifizieren, dass sie einfacher anzubauen und zu ernten sind. Taylor forscht gerade an einer neuen Variante von Zwerghirse. Das beliebte grasähnliche Getreide aus Äthiopien knickt bei Wind leicht um, was die Ernte erschwert. Taylor und sein Team haben jetzt eine Halbzwergvariante entwickelt, die viel robuster ist. Und da dieser neue Stamm nicht so viel Energie für sein Wachstum benötigt, produziert er grössere Mengen an essbarem Getreide.

Wissenschaftler passen Gene auch an (Tweaking), um Pflanzen nährstoffreicher zu machen. Monika Garg, Pflanzenwissenschaftlerin am National Agri-Food Biotechnology Institute in Punjab, Indien, passt alte Weizensorten an, um komplexe Getreide zu entwickeln, die nach dem Verzehr langsamer im Blut in Glukose verwandelt werden. Dadurch sind sie gesünder für Menschen mit Diabetes oder erhöhtem Risiko, daran zu erkranken. „Die Zahl der Diabetes-Patienten hier [in Indien] nimmt in alarmierendem Tempo zu“, so Garg. „Es wird viel Reis und Weizen gegessen, und beides hat einen hohen glykämischen Index.“

Garg beschäftigt sich hauptsächlich mit Getreidesorten, die die Ausbreitung von Diabetes bremsen. Ihr Team hat sowohl mit herkömmlichen Kreuzzüchtungsmethoden als auch mit CRISPR Genome Editing Weizen, Mais und Hirse entwickelt, die reich an Nährstoffen sind, welche den Nahrungsmitteln in Indien oft fehlen, wie Ballaststoffe und Amylose (eine Form von Stärke, die den glykämischen Index senkt). Diese „doppelt biologisch angereicherten“ Pflanzen können dann für noch mehr gesundheitlichen Nutzen mit höherem Zink- und Jodgehalt gezüchtet werden.

„Aktuell arbeiten wir daran, den Ertrag dieser Getreide zu verbessern, weil die Landwirte sie nicht anbauen werden, wenn der Ertrag nicht genauso hoch ist wie bei herkömmlichem Getreide“, so Garg.

Die Technologie kann dann irgendwann auch für andere Getreidesorten und in anderen Ländern genutzt werden – auch um die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen.

„In 30 Jahren wird es zu heiss sein, um Mais im mittleren Westen der USA anzubauen“, sagt Taylor. „Die Landwirte werden sich anpassen und überlegen müssen, was sie stattdessen anbauen.“

Mit anderen Worten, die nächste grüne Revolution ist gar nicht so weit weg.