ÖPNV neu gedacht

Neue Technologien ebnen den Weg für eine grundlegend andere Form der Fortbewegung in der Stadt.

Die Zukunft in Sachen urbaner Fortbewegung sieht der Vergangenheit verdächtig ähnlich, denn sie liegt im ÖPNV. Einem verbesserten ÖPNV. Dank neuer Technologien und Big Data werden verschiedene Mikro-Mobilitätslösungen – seien es Fahrräder, E-Roller oder autonome Elektrofahrzeuge – den öffentlichen Schienenverkehr ergänzen und Pendlern effiziente, kostengünstige und lückenlose Verbindungen von A nach B bieten.

Was im Verkehr der Zukunft fehlen wird, ist das Auto. Oder zumindest das Auto, so wie wir es kennen. Statt für eine kurze Fahrt durch die Stadt den zwei Tonnen schweren SUV zu nehmen, in dem fünf Personen Platz haben, aber so gut wie nie mehr als zwei sitzen, haben Städter heute immer mehr Gründe, effizientere und umweltfreundlichere Verkehrsmittel zu nutzen.

Der grösste Effekt lässt sich wahrscheinlich erzielen, indem wir die Art und Weise ändern, wie wir alltägliche, kurze Strecken zurücklegen. Eine 2017 durchgeführte Verkehrsumfrage in Grossbritannien ergab, dass ein Viertel aller Fahrten weniger als eine Meile (1,6 Kilometer) und zwei Drittel weniger als fünf Meilen lang waren.

Heute, da Regierungen zunehmend um CO2-Einsparungen und eine optimale Ausnutzung urbaner Räume bemüht sind, sollte die Beschränkung der Pkw-Nutzung für kurze Strecken Priorität haben, nicht zuletzt, weil diese Fahrzeuge enorm ineffizient sind. Im Durchschnitt sind sie nur rund 5 Prozent des Tages in Benutzung. Und da sie, selbst wenn sie genutzt werden, nur selten voll besetzt sind, liegt ihre Effizienz bei gerade einmal 2 Prozent. Hinzukommt, dass sie eine kostenintensive Infrastruktur benötigen und grosse Teile der städtischen Grundfläche in Anspruch nehmen.

Kombiniert man Daten mit neuen Technologien wie dem autonomen Fahren, hat dies das Potenzial, den städtischen Nahverkehr zu revolutionieren. Zwar ist das autonome Fahren heute noch nicht so weit, wie es Anhänger der Technologie prophezeit hatten, doch in den nächsten fünf bis zehn Jahren sollte es Realität sein. Und mit zunehmender Verbreitung sollte der private Besitz von Autos zurückgehen, denn um die Effizienz autonomer Fahrzeuge zu maximieren, werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach in Flotten betrieben werden, zum Beispiel von Ride-Hailing-Anbietern.

Klein ganz gross

Die autonomen Fahrzeuge selbst werden wahrscheinlich nicht mehr viel mit den Autos von heute gemein haben. Es wird mehr Ein- und Zwei-Personen-Fahrzeuge geben, die für kurze Strecken optimiert sind. Gleichzeitig wird es führerlose Minibusse geben, die als eine Art erweiterte Version aktueller Ride-Sharing-Dienste wie Uber Pool bis zu acht Personen effizient von Punkt zu Punkt befördern und typischerweise Pendler mit dem S- oder U-Bahn-Netz verbinden werden.

Diese autonome Revolution hat das Potenzial, sich in zwei Richtungen zu entwickeln. Sie könnte riesige Verkehrsflächen und Kapazitäten freisetzen. Einer Schätzung nach könnte so beispielsweise die Zahl der benötigten Parkplätze in Singapur von 1,4 Millionen auf 400.000 gesenkt werden. Und in einer Stadt wie Genf könnte dadurch die Zahl der Fahrzeuge auf den Strassen auf 20 Prozent des aktuellen Verkehrsaufkommens zurückgehen.

Schlecht umgesetzt könnte das autonome Fahren jedoch auch einen völlig gegenteiligen Effekt haben. 

Gäben die Menschen den ÖPNV auf, um stattdessen autonome Fahrzeuge zu nutzen, wären häufigere Staus die Folge. Dabei ist anzumerken, dass Fahrten mit Uber zurzeit rund 1,4 USD pro Kilometer kosten, dieser Preis mit autonomen Fahrzeugen jedoch auf 25 bis 40 Cent pro Kilometer sinken wird – was deutlich günstiger ist als eine vergleichbare Fahrt mit den meisten öffentlichen Verkehrsmitteln. Eine positive Massnahme bestünde darin, den öffentlichen Schienenverkehr zu verbessern. Ein gutes Beispiel dafür ist Singapur, wo die Erweiterung des U-Bahn-Systems dazu geführt hat, dass der Zuwachs an Fahrzeugen auf den Strassen von 3 Prozent vor einem Jahr auf Null zurückgegangen ist. 

Nächster Halt: Asien

Der Bedarf an öffentlichen Nahverkehrsangeboten wird weiter steigen. Ganz besonders in Asien. Was Investitionen in Infrastruktur angeht, hat China seit Jahrzehnten die Nase vorn: Seine Schnellverkehrskapazitäten pro Kopf haben sich seit 2009 mehr als verdoppelt. Doch das grösste Wachstumspotenzial haben Städte in Schwellenländern wie Manila, Bangkok und Jakarta. Sie besitzen bisher nur einen Bruchteil der Infrastruktur weiter entwickelter Städte, verfügen aber zunehmend über die nötigen Mittel und den politischen Willen, ihren öffentlichen Nahverkehr auszubauen.

Ein Verkehrsmittel, das unter autonomen Fahrzeugen leiden wird, ist der Bus. Wenn der menschliche Fahrer entfällt, wird der Betrieb von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen mit einer Flotte kleinerer Busse deutlich wirtschaftlicher werden.

Doch die Fortbewegung in der Stadt wird nicht von einem einzelnen Verkehrsmittel beherrscht werden. Höchstwahrscheinlich wird sich dank neuer Technologien und Data Sharing ein urbanes Pendant zum Amadeus-Ticketingsystem der Fluggesellschaften entwickeln, das möglicherweise jedoch auf staatliche Subventionen angewiesen sein wird. Ein solches System könnte für jede beliebige Strecke, die eine Person zurücklegen möchte, auf Basis aller zur Verfügung stehenden Transportmittel einen Preis und eine Route berechnen. Es könnte also eine Fahrt vorschlagen, die ein Mietfahrrad, ein öffentliches Verkehrsmittel und zum Schluss einen autonomen Minibus beinhaltet – alles mit einem einzigen Ticket zu einem pauschalen Preis.

In ein paar Jahrzehnten könnte die städtische Verkehrslandschaft ebenso fremd auf uns wirken, wie es das Verkehrssystem der 1950er Jahre auf Menschen tat, die zu Beginn des Jahrhunderts gross geworden waren, als noch Pferd und Wagen die Strassen beherrschten. 

Über

Mega

Mega möchte zur Diskussion darüber anregen und beitragen, wie wir eine besser funktionierende Wirtschaft und Gesellschaft gestalten können.

Megatrends sind starke sozioökonomische, ökologische und technologische Kräfte, die die Richtung vorgeben, in die sich unser Planet entwickelt. Die Digitalisierung der Wirtschaft, das rasante Wachstum der Städte und die Ausschöpfung der natürlichen Ressourcen der Erde sind nur einige Beispiele für strukturelle Trends, die die Art und Weise, wie Länder regiert, Unternehmen geführt und Leben gelebt werden, grundlegend verändern.

Photo of Mega