Der Kampf gegen die Bakterien

Wenn wir keinen Weg finden, Antibiotikaresistenzen einzudämmen, könnten bakterielle Infektionen im Jahr 2040 die Todesursache Nr. 1 sein. Hier stellen wir eine Möglichkeit vor, um das verhängnisvolle Problem zu lösen.

Nach Angaben der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sterben jedes Jahr rund 23.000 Amerikaner und 25.000 Europäer an antibiotikaresistenten Infektionen. Der Trend ist sogar noch besorgniserregender: Es wird erwartet, dass sich die Zahl der Infektionen etwa alle acht Jahre verfünffacht. Wenn sich die derzeitige Entwicklung fortsetzt, werden Infektionen im Jahr 2040 die häufigste Todesursache weltweit sein. Ärzte müssen also unbedingt einen anderen Weg finden, um gegen bakterielle Erreger von Infektionen vorzugehen. Das Mittel der Wahl sind seit Jahrzehnten Antibiotika, doch da die bakteriellen Resistenzen zunehmen, sind kreativere Lösungsansätze gefragt. 

Eines der zentralen Probleme bei Antibiotika besteht darin, dass die meisten Bakterien die Veränderungen, die nötig sind, um ein bestimmtes Antibiotikum auszutricksen, bereits in ihrer Zell-DNA tragen. Wenn ein Bakterium Antibiotika ausgesetzt ist, mischt es seine DNA wie einen Stapel Spielkarten, bis es eine Kombination findet, die gegen das Antibiotikum erfolgreich ist. Und die Gewinnchancen für die Bakterien stehen gut. „Jeder von uns trägt Milliarden von Bakterien in sich“, erklärt Vincent Rotello, Chemiker an der University of Massachusetts. „Es wird immer eine ganze Reihe von Bakterien geben, die ein Full House bekommen.“ Wenn das passiert, ist das Ergebnis ein antibiotikaresistenter Stamm.

Rotello konzentriert sich jedoch nicht auf neue Antibiotika, sondern auf die Entwicklung bakterienresistenter Materialien, die es den meisten Bakterien unmöglich machen, als blinde Passagiere auf ihren Oberflächen mitzureisen, und die wenigen verbleibenden Bakterien abtöten. Mit diesen Materialien könnte praktisch alles beschichtet werden – von Kleidung und Geld über Anstriche bis hin zu Medizinprodukten, die als Ersatz für verschlissene Knie- oder Hüftgelenke in unsere Körper implantiert werden. Und sie könnten unser Leben retten.

Der Evolution ein Schnippchen schlagen

Der erste Schritt besteht darin, eine neue Klasse biologischer Beschichtungen zu entwickeln, die adhäsionsresistent sind. Diese würden es den Bakterien deutlich schwerer machen, von einer Stelle oder Person zu einer anderen zu gelangen. Dazu entwickelt Rotello Anti-Haft-Beschichtungen wie Teflon und Fluorpolymere sowie Metallbeschichtungen, etwa aus Titan, weiter, um sie auf Fasern und andere Materialien aufzubringen. „Ein Grossteil der Technologien existiert bereits. Das Problem ist die Umsetzung“, sagt Rotello. „Wir können Fasern mit Teflon beschichten, aber das Ergebnis ist ein relativ unangenehm zu tragendes, teures Gewebe. Aber wir arbeiten daran.“

Eine noch grössere Herausforderung ist es, Beschichtungen zu finden, die auf Medizinprodukte und Implantate aufgebracht werden können, die in den menschlichen Körper gelangen, denn sie müssen sicher und ungiftig sein. In seinem Labor arbeitet Rotello an einer anderen Art von Beschichtung auf Basis von Proteinen, die in unserem Blutserum vorkommen und die Blutzellen daran hindern, zu verklumpen. Auf die gleiche Weise könnten auch Bakterien daran gehindert werden, sich an eine Oberfläche anzuheften. Und da diese Beschichtungen aus Proteinen bestehen, würden mit ihnen keine potenziell giftigen Stoffe in den Körper eingebracht werden. „Biologische Systeme wie Proteine und Zellen sind scheinbar zufällige Muster positiver und negativer Ladungen, die Interaktionen begrenzen“, sagt Rotello. „Das gleiche Konstruktionsmerkmal können auch Wissenschaftler nutzen, um Oberflächen zu schaffen, an die sich Bakterien nur schwer anheften können.“

Doch mit Anti-Haft-Beschichtungen allein wird es vermutlich nicht gelingen, Infektionen komplett zu verhindern. „Bakterien haben die unschöne Angewohnheit, sich zu teilen. Wenn sich also nur ein Bakterium oder ein paar wenige Bakterien an eine Oberfläche anheften, werden sie sich vermehren und letztlich zu einer Infektion führen“, sagt Rotello. Wenn bei medizinischen Implantaten auch nur ein paar vereinzelte Mikroben auf der Oberfläche eines bakterienresistenten künstlichen Knie- oder Hüftgelenks überleben, kann dies zu Infektionen führen, die monatelange Schmerzen oder sogar den Tod zur Folge haben. „Es ist schwierig bis unmöglich, Oberflächen zu entwickeln, die ein Anheften von Bakterien vollständig und perfekt verhindern“, sagt er. „Es ist also unbedingt noch ein Plan B nötig, um die restlichen Bakterien abzutöten.“

Die Krux dabei ist, eine Methode zum Abtöten der Bakterien zu finden, die dem Menschen nicht schadet. In seinem Labor konzentriert sich Rotello deshalb auf einen der wesentlichen Unterschiede zwischen menschlichen Zellen und Bakterien: Die Oberfläche von Bakterienzellen hat eine deutlich dichtere negative Ladung als die von Säugetierzellen. Aus evolutionärer Sicht ergibt das Sinn. Denn negativ geladene Zellen stossen andere negativ geladene Zellen ab, und das Erfolgsrezept von Bakterien besteht gerade darin, sich auszubreiten und grossflächig anzugreifen. Ihre einheitliche Ladung treibt sie also auseinander. Säugetierzellen bilden dagegen einen gemeinsamen Organismus und weisen deshalb eine grössere Vielfalt positiver und negativer Ladungen in ihren Membranen auf.

Seit mehr als 15 Jahren arbeitet Rotello an der Entwicklung von Gold-Nanopartikel-Gerüsten, die andere Moleküle seiner Wahl in sich aufnehmen können. Um Bakterien zu bekämpfen, hat er eine Reihe von positiv geladenen Gold-Nanopartikeln entwickelt, die eine starke Anziehungskraft auf Bakterien ausüben. Das Gerüst ist gewölbt und die geladenen Moleküle sind so verteilt, dass sie die Zellwand eines angezogenen Bakteriums nach und nach in die Länge ziehen und dehnen, bis sie kaputtgeht. „Viele Antibiotika hindern Bakterien an der Bildung ihrer Zellwände“, erklärt er. „Diese Partikel sind anders. Sie reissen die Zellwand praktisch auseinander.“

Doch nicht alle Bakterien sind Einzelgänger. Einige der am schwierigsten zu behandelnden Infektionen sind auf Biofilme zurückzuführen – Kolonien von Bakterien, die in einer extrazellulären schützenden Matrix sitzen, in der sie einfach nur abwarten müssen, bis die Antibiotika wieder verschwunden sind. Biofilme sind in hohem Masse resistent gegenüber Antibiotika.

Um gegen Biofilme vorzugehen, hat Rotello eine Art mikroskopisch kleiner Lenkrakete entwickelt, die in den Biofilm eindringt und dort eine Ladung abfeuert, die den Bakterien den Garaus macht. Bei der Ladung macht er sich eine evolutionäre Anpassung von Pflanzen zunutze, die Bakterien mithilfe von natürlichen Ölen bekämpfen. Die Öle sind in der Lage, die Zellmembranen der Bakterien zu durchdringen und sie dabei zu zerstören. Doch das Öl allein ist keine wirksame Waffe gegen Biofilme. Es würde einfach an ihrer Oberfläche bleiben, ohne eine Möglichkeit, die Bakterien im Inneren zu erreichen.

Um in den schützenden Biofilm einzudringen, hüllt Rotello ein Tröpfchen Pfefferminzöl in einen schwammförmigen Polymer-Nanopartikel-Träger ein. Der „Schwamm“ ist positiv geladen und weist eine einzigartige Kombination aus Form, Dichte und Flexibilität auf, die es ihm ermöglicht, sich nach und nach in den Biofilm zu graben. Angezogen wird er dabei von der negativen Ladung der Bakterien auf der anderen Seite. Ist der Schwamm im Inneren des Biofilms angelangt, setzt er das Pfefferminzöl frei, das die Bakterien zerstört.

Rotellos Verfahren zur Bekämpfung von Infektionen befinden sich noch in der frühen Phase der Entwicklung, doch er ist zuversichtlich, dass sie in einigen Jahren wirksame Instrumente zur Prävention und Bekämpfung bakterieller Infektionen sein werden, die ergänzend zu Antibiotika zum Einsatz kommen.