Eine coole Idee: Die Emissionen der Kälteindustrie einfach einfrieren

Wie verflüssigte Luft dabei helfen kann, die Klimabilanz energieintensiver Prozesse wie dem Kühlen und Gefrieren zu verbessern.

Als der amerikanische Abenteurer und Unternehmer Clarence Birdseye in den 1920er Jahren eine Möglichkeit entdeckte, Fisch einzufrieren, rechnete er wohl kaum damit, dass seine Erfindung zu einem Stützpfeiler der modernen Weltwirtschaft werden würde.

Der kleine Plattenfroster, den er entwickelte, revolutionierte die Landwirtschaft, die Medizin und eine ganze Reihe andere Branchen.

Ohne die Möglichkeit, Dinge zu kühlen und einzufrieren, würde die moderne Wirtschaft nicht funktionieren – die weltweite Versorgung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und IT-Diensten würde schlicht zusammenbrechen.

In den nächsten Jahrzehnten wird der Bedarf an Kühlung voraussichtlich den Bedarf an Heizung übersteigen – eine Entwicklung, die durch die globale Erwärmung und das Wachstum der Mittelschicht in den Schwellenländern gefördert wird. 

Bis 2050 wird sich die Zahl der Kühlgeräte Prognosen zufolge mehr als verdreifachen, auf dann knapp 10 Milliarden1.

Das Problem dabei: Dinge kühl zu halten, ist eine äusserst energieintensive Aufgabe, die zum Klimawandel beiträgt. Bereits heute entfallen 17 Prozent des gesamten Stromverbrauchs weltweit auf Kühlprozesse. Bei den CO2-Emissionen sind es 7 Prozent und damit mehr als doppelt so viel, wie Flugverkehr und Schifffahrt zusammen produzieren2. In rund 30 Jahren wird das Kühlen voraussichtlich 9.500 Terawattstunden Energie verbrauchen    so viel, wie China und die USA 2012 zusammen an Elektrizität verbraucht haben.

„Kühltechnik stützt alle Aspekte unserer Gesellschaft, von der Versorgung mit Nahrungsmitteln, dem Komfortbereich und der Gesundheitsversorgung bis hin zur Bereitstellung von IT-Diensten. Doch sie ist das Aschenputtel der globalen Klimawandel-Diskussion. Bis vor Kurzem war sie in der Energiedebatte einfach kein Thema“, so Toby Peters, Professor für Kälteindustrie an der University of Birmingham und langjähriger Verfechter von Innovationen im Energiebereich. „Für unsere Gesellschaft und unsere Umwelt ist die Frage, wie wir unseren Bedarf an Kühlung nachhaltig decken können, die grösste Herausforderung, vor der wir stehen.“

[1] Birmingham Energy Institute, 10.07.2018
[2] Internationale Energieagentur, 2012

Und dieser Herausforderung stellt er sich mit aller Entschlossenheit. Vor sechs Jahren gründete er das britische Start-up-Unternehmen Dearman, um den ökologischen Fussabdruck des grössten Klimasünders der Kälteindustrie zu verringern: den des Kühltransports.

Die mobile Kühlung, d. h. die Kühlung in Form von Klimaanlagen in Fahrzeugen und von Transportkühlung, ist innerhalb der Kälteindustrie für 25 Prozent des Stromverbrauchs und 31 Prozent der Emissionen verantwortlich.

Die Ingenieure von Dearman entwickeln derzeit ein 100 Prozent diesel- und emissionsfreies Kühlaggregat für Lastwagen, das sowohl Energie als auch Kälte liefert.

Das Schlüsselelement dieser Technologie ist der innovative Einsatz von verflüssigter Luft als Energiespeicher. Die Dearman-Motoren arbeiten wie Dampfmaschinen, werden jedoch mit Stickstoff betrieben, der zuvor bei –196 °C verflüssigt wurde. Bei Zimmertemperatur wird der Stickstoff wieder gasförmig und dehnt sich dabei um das 700-Fache aus. Diese Ausdehnung generiert einerseits eine Kraft, die die Kolben eines Motors antreibt, und setzt andererseits Kälte frei, die zur Kühlung genutzt werden kann.

Im Kühlaggregat von Dearman kommt eine Wärmeübertragungsflüssigkeit zum Einsatz, die eine quasi-isotherme, also bei nahezu unveränderter Temperatur ablaufende Ausdehnung des Stickstoffs ermöglicht, wodurch sich der Wirkungsgrad des Motors erhöht. Das Einzige, was ein Dearman-Motor ausstösst, ist Luft – bzw. Stickstoff.

Ein zusätzlicher Vorteil: Flüssigstickstoff ist sowohl günstig als auch leicht verfügbar. Denn Industriegas-Unternehmen produzieren grosse Mengen davon als Abfallprodukt. Es müssen also keine neuen Werke gebaut werden, um kalte Luft zu produzieren.

„Bei der Infrastruktur für Flüssigstickstoff stellt sich nicht die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Und wir haben ein Überangebot an Stickstoff“, erklärt Peters, der inzwischen nicht-geschäftsführendes Mitglied des Vorstands von Dearman ist.

Der Carbon Trust schätzt, dass Flüssigstickstoff in Grossbritannien für 5–8 Pence pro Liter bereitgestellt werden kann, sodass er preislich mit besteuertem Diesel konkurrieren könnte.

Die Dearman-Motoren werden bereits von den britischen Supermarktketten Sainsbury‘s und M&S sowie dem britisch-niederländischen Unternehmen Unilever erprobt. Das Unternehmen plant, bis Ende 2018 30 Kühllaster auf die Strassen zu schicken.

Die Kühlkette läuft sich warm

Es ist wichtig, dass Technologien wie die von Dearman kommerziell erfolgreich werden, denn der Bedarf an einer gekühlten Lagerung und Beförderung von Gütern wird in Zukunft rasant ansteigen.

In Schwellenländern ist dies ganz sicher der Fall. Dort fehlt es noch an einem geschlossenen Netz temperierter Lagerhäuser, Verpackungsanlagen und Fahrzeuge, weshalb 40 Prozent der verderblichen Lebensmittel verloren gehen, bevor sie den Gaumen des Verbrauchers erreichen.

Durch den Aufbau einer Kühlkette in Entwicklungsländern könnten nicht nur die Nachernteverluste reduziert werden, sie würde es den Bauern auch ermöglichen, ihre Produkte in den Städten anzubieten, wo sich um ein Vielfaches höhere Preise erzielen lassen.

Ausserdem wären sie damit in der Lage, höherwertige Produkte herzustellen – Milchbauern könnten beispielsweise Joghurt oder Eiscreme produzieren, fügt Peters hinzu.

In Indien durchlaufen gerade einmal 4 Prozent aller Frischwaren eine solche Kühlkette. In Industrieländern sind es mehr als 70 Prozent. Die Kühllagerkapazität in China beträgt 0,1 Kubikmeter pro Kopf und damit nur ein Drittel der Kapazität in den USA, obwohl sie seit 2007 bereits um das 20-Fache angestiegen ist.

Weitaus beunruhigender ist jedoch, dass die fehlende Kühlung bei Lagerung und Transport der effektiven Verbreitung von Impfstoffen im Wege steht, die zur Prävention von Infektionskrankheiten benötigt werden. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge sterben in Entwicklungsländern 2 Millionen Menschen, weil es an solchen Medikamenten fehlt.

Doch die technische Entwicklung hat einen entscheidenden Knackpunkt: Würden Schwellenländer ihre zunehmenden Ressourcen dazu nutzen, eine traditionelle Kühlkette aufzubauen, könnte dies fatale Folgen für die Umwelt haben.

Kühllastwagen sind besonders problematisch, da die Diesel-Hilfsmotoren, die sie zur Kühlung einsetzen, 29-mal mehr Feinstaub und sechsmal mehr Stickstoffdioxid ausstossen als die eigentlichen Antriebsmotoren.

„Wenn wir auf eine dieselbetriebene Kühlkette setzen, tauschen wir einfach nur ein Problem gegen ein anderes aus – eine Katastrophe für die Umwelt. Deshalb wollen wir eine innovative, saubere und nachhaltige Kühlkette aufbauen und dabei die aktuellen Technologien einfach überspringen“, so Peters. „Ich sehe eine Kühlkette als eine Infrastruktur, die eine Reihe von Vorteilen bietet: Sie bewahrt den Wert von Gütern, schafft neue Märkte und ermöglicht es ländlichen Gemeinden, in der Wertschöpfungskette nach oben zu klettern.“