Rechenzentren und ihr kleines schmutziges Geheimnis

Rechenzentren zählen zu den unersättlichsten und am schnellsten wachsenden Stromverbrauchern des 21. Jahrhunderts. Forscher arbeiten mit Hochdruck an umweltfreundlicheren Lösungen.

Sie sitzen in unscheinbaren Bürogebäuden oder verstecken sich in extra errichteten Mega-Lagerhallen am Stadtrand – und doch sind Rechenzentren ein zentraler Bestandteil unserer modernen Gesellschaft.

Würden sie nicht rund um die Uhr Bits und Bytes verarbeiten und speichern, gäbe es kein Amazon, kein Facebook, kein Online-Banking, keine Bitcoins und kein Video-Streaming. Das Internet – mit seinen süssen Kätzchenbildern und allem, was dazugehört – würde schlicht nicht mehr existieren.

Das Problem dabei: Die Digitalwirtschaft am Laufen zu halten, ist eine ausgesprochen energieintensive Aufgabe.

Server, bei denen unzählige Internettransaktionen an einem Ort zusammenlaufen, verbrauchen viel Strom. Enorm viel.

„Ungefähr 2 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs entfallen in der ein oder anderen Form auf Rechenzentren“, sagt Patrick Ruch, Forscher bei IBM Research – Zurich. Das entspricht dem jährlichen Gesamtenergieverbrauch Frankreichs.

Viele Jahre lang blieb das das kleine schmutzige Geheimnis der Rechenzentren. Inzwischen werden jedoch grosse Summen in die Hand genommen, um das Problem anzugehen. Wie Ruch erklärt, arbeiten Forscher mit Hochdruck daran, Rechenzentren umweltfreundlicher zu machen.

 

Immer mehr Lösungsansätze werden entwickelt – an unterschiedlichen Orten und in ganz unterschiedlicher Form.

Zum Beispiel werden ursprünglich für mobile Geräte konzipierte, stromsparende Chips des britischen Unternehmens ARM so angepasst, dass aus ihnen Mikroserver entstehen können. Der Markt für diese Server wächst und wird bis 2019 voraussichtlich einen Wert von 16 Milliarden USD erreichen.

Gleichzeitig arbeitet der Chip-Gigant Intel weiter daran, die Leistung pro Dollar und Watt seiner Server zu optimieren.

Supereffiziente Chips allein werden das Problem jedoch nicht lösen. Denn Server benötigen nicht nur ungeheure Mengen an Strom für die Datenverarbeitung, sondern auch für ihre Kühlung, ohne die eine reibungslose Funktion nicht möglich wäre.

„In vielen Rechenzentren kommt auf jedes Watt Strom, das ein Server verbraucht, ungefähr ein weiteres Watt für seine Kühlung“, erklärt Professor Prashant Shenoy von der University of Massachusetts Amherst.

Einige Unternehmen haben deshalb beschlossen, dieses Problem ganz pragmatisch anzugehen und Rechenzentren in grossem Massstab in kältere Klimazonen zu verlegen, um so die Möglichkeit der Kühlung mit natürlicher Kaltluft auszunutzen – Facebooks Node-Pole-Zentrum in Schweden ist ein Beispiel dafür. Die Verlegung aller Rechenzentren in die Arktis ist allerdings weder praktikabel noch erstrebenswert. In dieser Situation kann Energieeffizienz einen entscheidenden Unterschied machen.

Ein gutes Praxisbeispiel für eine energieeffiziente Lösung ist das 34-stöckige Westin Building in Seattle, das auf 28.000 m² Fläche Rechenzentren beherbergt. Dort fliesst das in das Gebäude strömende kalte Wasser durch die aufgeheizten Rechenzentren, nimmt dabei Wärme auf und erhöht seine Temperatur.

Kühlwassersysteme wie jenes im Westin Building werden entwickelt, da Wasser deutlich mehr Wärme aufnehmen und abführen kann als Luft.

Ruch und sein Team bei IBM sind überzeugt, dass sie diesen Vorteil mit zwei innovativen Technologien noch besser ausnutzen können: mit Warmwasserkühlung und Feststoff-Sorptionswärmepumpen.

Warmwasserkühlung – das mag zunächst paradox klingen, doch die Zahlen sprechen für sich.

Die Temperatur in einem Mikroprozessor kann bei bis zu 80 °C liegen, während die Luft im Serverraum vielleicht nur 20 °C warm ist. Das Team von IBM Research – Zurich hat ein Wasserkühlsystem entwickelt, das auf eigens konstruierten Mikrokanal-Wärmetauschern basiert, die direkt mit den Mikroprozessor-Chips verbunden sind.

„Statt 20 °C warmer Luft können wir 50–60 °C warmes Wasser nutzen“, sagt Ruch, was wiederum die Lufttemperatur senkt.

Dadurch sind keine stromfressenden Kompressionskältemaschinen und Lüfter mehr nötig, und das erwärmte Wasser kann produktiveren Verwendungszwecken zugeführt werden.

So wird das im Westin Building produzierte Warmwasser beispielsweise nicht mehr als Dampf über das Dach ausgestossen, sondern zur Beheizung benachbarter Gebäude genutzt. „Das neue System leitet über einen Wärmetauscher 5 MW Wärme an Bürogebäude von Amazon nebenan weiter“, erklärt Immobilienmanagerin Sabrina Villanueva von Clise Properties.

Angesichts der Menge an Abwärme, die Rechenzentren mit einem Verbrauch von mehreren Megawatt generieren, würden nahe gelegene Büro- oder Wohngebäude als Verbraucher jedoch nie ausreichen.

Hier kommt die zweite Innovation von Ruch – die Sorptionswärmepumpe – ins Spiel.

Herkömmliche Wärmepumpen leiten Wärme von einem kälteren in einen wärmeren Bereich und benötigen dazu in der Regel einen elektrischen Kompressor. Die Sorptionswärmepumpe – eine Technologie, die vom THRIVE-Projekt und mit Mitteln des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung entwickelt wird – arbeitet dagegen auf effizientere Weise.

Statt mit Strom wird die Sorptionswärmepumpe mit zurückgewonnener Wärme betrieben – zum Beispiel mit dem rund 60 °C warmem Wasser, das das vom Team entwickelte Warmwasserkühlsystem für Rechenzentren erzeugt.

„Eine Sorptionswärmepumpe macht im Grunde das Gleiche wie eine normale Pumpe, doch statt eines mechanischen Kompressors nutzt sie dazu ein poröses Material“, erklärt Ruch.

Die von der Sorptionswärmepumpe generierte klimatisierte Luft kann zur Kühlung anderer Bereiche des Rechenzentrums eingesetzt werden, die nicht mit Wasser gekühlt werden können. Das kombinierte System verwertet also ein Maximum an Abwärme – und spart so 50–60 Prozent des Stroms ein, den die zugehörige Infrastruktur benötigt.

Doch auch Energieeffizienz hat ihre Grenzen, wenn es darum geht, Rechenzentren umweltfreundlich zu machen.

Die Quelle des verbrauchten Stroms ist ein weiterer wichtiger Faktor.

„Forscher und die Rechenzentrumsbranche haben sich bisher vor allem darauf konzentriert, die zur Kühlung eingesetzte Infrastruktur zu optimieren, um so den Gesamtenergieverbrauch zu senken. Doch wenn der von dem Rechenzentrum verbrauchte Strom aus herkömmlichen Öl- und Kohlekraftwerken stammt, ist die CO2-Bilanz trotzdem schlecht“, erklärt Prof. Shenoy.

Deshalb haben er und seine Kollegen das MassNZ-Projekt in Holyoke, Massachusetts, ins Leben gerufen. „Wir untersuchen die Gestaltung umweltfreundlicher Rechenzentren, die mithilfe erneuerbarer Energien und Energiespeicherlösungen betrieben werden.“ Das MassNZ-Mikrozentrum, das nicht grösser als eine Garage ist, verfügt über eine eigene Solaranlage und Akkus zur Energiespeicherung für den Inselbetrieb und liegt ausserdem in der Nähe einer Wasserkraftanlage, die Netzstrom liefert. „Die CO2-Bilanz von MassNZ ist annähernd neutral, da sowohl der Netzstrom als auch der lokal erzeugte Strom aus sauberen, erneuerbaren Quellen stammen“, sagt er.

Das MassNZ ist auf dem Gelände des Massachusetts Green High Performance Computing Center (MGHPPC) angesiedelt – einem Rechenzentrum verschiedener lokaler Universitäten, das selbst auf Umweltfreundlichkeit ausgelegt ist. Somit können alle Entdeckungen, die Prof. Shenoy macht, sofort in die Praxis umgesetzt werden. Solche Kooperationen in Kombination mit energieeffizienten Technologien könnten dafür sorgen, dass dreckige Rechenzentren bald der Vergangenheit angehören.

Vier Unternehmen, die neue Massstäbe für Rechenzentren setzen

Google – Der Suchmaschinen-Gigant verfügt über 15 Rechenzentren in Nord- und Südamerika, Europa und Asien. Google setzt nicht nur in Sachen Energieeffizienz auf die aktuellsten Technologien, sondern recycelt auch 100 Prozent der elektronischen Geräte, die in seinen Serverfarmen ausgemustert werden, nutzt in seinem neuesten Rechenzentrum in Finnland Meerwasser zur Kühlung und macht sich sogar die von seinem DeepMind-Geschäftsbereich entwickelte künstliche Intelligenz (KI) zunutze, um seine riesigen Anlagen umweltfreundlicher zu gestalten.

Apple – 2011 wurde Apple von der Umweltschutzorganisation Greenpeace als einer der grössten Klimasünder mit dem höchsten Anteil an Kohlestrom und dem geringsten Anteil an sauberer Energie an den Pranger gestellt. Inzwischen hat Apple andere Internetgiganten locker überholt und verfolgt mit Nachdruck die Politik, in all seinen Rechenzentren auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzusteigen. Sein Standort in Maiden, North Carolina, wartet mit rund 4.000 Quadratmetern Solaranlage, der grössten nicht von Stromversorgern betriebenen Biogas-Brennstoffzellen-Anlage in den USA und freier Kühlung mit Umgebungsluft auf, was bedeutet, dass die Kältemaschinen mehr als 75 Prozent der Zeit ausgeschaltet bleiben können.

Facebook – Das grösste soziale Netzwerk der Welt nutzt an den meisten seiner Standorte natürliche Umgebungskälte zur Kühlung. Ausserdem hat das Unternehmen das Open Compute Project ins Leben gerufen, um auch im Bereich Hardware für Rechenzentren „das gleiche Level an Kreativität und Kooperation zu erreichen, das wir auch bei Open-Source-Software beobachten“.

Microsoft – Mit weltweit mehr als 100 Rechenzentren und 1 Million Servern hat die Infrastruktur von Microsoft wahrlich enorme Ausmasse. Neben einer dezentralen Stromerzeugung vor Ort hat das Unternehmen in einem Pilotprojekt Brennstoffzellen in Serverracks integriert – was doppelt so effizient ist wie herkömmliche Architekturen – und erprobt im Rahmen seines Project Natick derzeit den Nutzen unter Wasser angesiedelter Rechenzentren in seiner Pilotanlage vor der Küste Kaliforniens.