Alle einsteigen! Wie die Schiene das Verkehrssystem grüner machen könnte

Neue Schienen- und Zugtechnologien könnten helfen, den Kohlendioxidausstoss zu senken und die Produktivität zu steigern.

Ganz egal, ob es um Fastfood, schnelles Internet oder unsere schnelllebige Gesellschaft geht: Warten ist in unserem Alltag heute nur noch selten eine Option. Dieser allgegenwärtige Hunger nach Geschwindigkeit zeigt sich auch im weltweiten Verkehrssystem, vor allem im Schienenverkehr, wo eine ganze Reihe neuer Technologien mit dem Versprechen lockt, Personen und Güter schneller und nachhaltiger als jemals zuvor an ihr Ziel zu bringen.

Grossbritannien will die Fahrtzeiten zwischen einigen seiner grössten Städte mit dem „High Speed Two“-Projekt drastisch reduzieren. Das Projekt „California High-Speed Rail“ wiederum verspricht bis 2029 eine Hochgeschwindigkeits-Zugverbindung zwischen San Francisco und dem Becken von Los Angeles. Angesichts der Kosten von schätzungsweise 65 Milliarden Euro und 53 Milliarden Euro sind beide Projekte jedoch umstritten.

Einen Durchbruch erlebten Hochgeschwindigkeitszüge (mit 250 km/h und mehr) erstmals in den 1960er Jahren durch die berühmten japanischen Shinkansen, im Englischen auch als „Bullet Trains“ bekannt. Doch mit ihnen nahm die Geschichte in Japan erst ihren Anfang. Seit 1969 entwickelt Japan Magnetschwebebahnen. Diese Züge, die keiner Reibung, sondern ausschliesslich dem Luftwiderstand als bremsendem Faktor ausgesetzt sind, werden von einer Reihe von Magneten in der Schwebe gehalten und angetrieben. Mit der Serie L0 stellte Japan 2015 einen neuen Landgeschwindigkeitsweltrekord für einen bemannten Passagierzug auf – mit sagenhaften 603 km/h.

Trotz ihrer hohen Energieeffizienz und ihrer geringen Instandhaltungskosten konnte sich die Magnetschwebetechnik nicht durchsetzen, was nicht zuletzt auf die hohen Produktionskosten und ihre Inkompatibilität mit der vorhandenen Bahninfrastruktur zurückzuführen ist. Einzig in Japan, Südkorea und China sind heute eine Handvoll Strecken für Magnetschwebebahnen in Betrieb. Insgesamt ist der Hochgeschwindigkeitsverkehr auf der Schiene aber eine Erfolgsgeschichte, bietet er mit Blick auf den CO2-Ausstoss doch eine umweltfreundliche Alternative zum Strassen- und Luftverkehr (vorausgesetzt, alle Verkehrsmittel sind voll ausgelastet). Das Hochgeschwindigkeits-Schienennetz deckt heute grosse Teile Europas und Asiens ab und breitet sich inzwischen auch in anderen Regionen immer weiter aus. Mit dem geplanten Spatenstich noch in diesem Jahr liefert sich das „Texas Central“-Projekt, das Houston und Dallas miteinander verbinden soll, einen Wettlauf mit dem „California High-Speed Rail“-Projekt. Die erste Hochgeschwindigkeits-Zugverbindung Indiens, zwischen Mumbai und Ahmedabad, soll 2022 in Betrieb gehen.

Innovationen aus Spanien

Das alles hat dazu geführt, dass innovative Unternehmen die Grenzen des technisch Machbaren austesten und sich auf die Entwicklung von Sensoren, kleineren Motoren, leichten und belastbaren Materialien und neuen Verfahren zur Verlegung von Schienen konzentrieren, um so die Geschwindigkeiten zu steigern, die Energieeffizienz zu erhöhen und die Kosten zu senken. Ein Beispiel ist das von Siemens entwickelte Design für den ICE 4 der Deutschen Bahn, der noch im Laufe dieses Jahres offiziell in Betrieb genommen werden soll. Der ICE 4 wird nicht nur 22 Prozent weniger Energie verbrauchen als sein Vorgänger, der ICE 3, sondern alle Wagen werden darüber hinaus auch als unabhängige Einheiten betrieben – ein radikal neues Konzept. So lassen sich die Betriebsparameter des ICE 4 optimal auf unterschiedliche Gradienten, die Anzahl der Sitze und die Geschwindigkeit abstimmen, und selbst bei einem Stromausfall in einem oder mehreren Wagen kann die Fahrt fortgesetzt werden. Die zwölfteilige Variante kann 830 Fahrgäste mit 250 km/h befördern.

Spanien verfügt über das zweitgrösste Hochgeschwindigkeitszugnetz der Welt. Als Mitglied der EU hat Spanien besonderes Augenmerk darauf gelegt, den grenzüberschreitenden Betrieb seiner Züge zu ermöglichen. Der Zughersteller CAF hat seinen Oaris in Kooperation mit spanischen Universitäten und Technologiezentren entwickelt, um ihn nicht nur schnell, leicht, energieeffizient und komfortabel zu machen, sondern auch Unterschiede bei der Spannung, den Signalsystemen und den Spurweiten überbrücken zu können.

Nur Chinas Hochgeschwindigkeitsnetz mit seinen mehr als 20.000 km Schiene – zwei Drittel der weltweiten Gesamtlänge – ist noch grösser. Gleichzeitig ist China eine Hochburg für Innovationen. Der Hersteller CRRC arbeitet aktuell an einem „Bullet Train“ mit einer Höchstgeschwindigkeit von 500 km/h, der bis 2018 reif für die Serienproduktion sein soll. Im Gegensatz zur Magnetschwebetechnik werden bei der chinesischen Technologie Dauermagneten in einem Hybridantriebssystem eingesetzt, das die Züge nicht von den Schienen hebt. Dadurch lässt es sich leichter an die vorhandene Infrastruktur anpassen und ist weniger kostspielig.

Geschwindigkeit ist natürlich nicht der einzige Faktor, der nötig ist, um den Schienenverkehr fit für das 21. Jahrhundert zu machen. In der Schweiz plant Cargo Sous Terrain (CST), bis 2030 ein innovatives System für den Güterverkehr zu entwickeln, das drastische Verbesserungen für die kommerzielle Logistik mit sich bringen könnte. Das System von CST, das sich noch in der Planungsphase befindet, wird aus einem zusammenhängenden unterirdischen Transporttunnel und effizienten, umweltfreundlichen Lösungen für die Beförderung von Gütern von Stadt zu Stadt bestehen. Die Transporteinheiten sollen automatisch beladen werden und sich mit gemächlichen 30 km/h in dreispurigen Tunneln fortbewegen, bis sie einen geeigneten Zugangspunkt erreichen. Dort werden sie für den Rest ihrer Reise zum endgültigen Ziel auf geräuscharme Fahrzeuge geladen. Pro Tonne beförderter Waren soll so 80 Prozent weniger CO2 ausgestossen werden als mit herkömmlichen Transportlösungen.

Der Hyperloop, der schon als das fünfte Verkehrsmittel (nach Autos, Zügen, Flugzeugen und Schiffen) beworben wird, würde Geschwindigkeiten von bis zu 1.000 km/h erreichen.

Der Hype um den Hyperloop

Ein Konzept, das in letzter Zeit enorme mediale Aufmerksamkeit erlangt hat, ist der Hyperloop – eine Idee, die bereits im 20. Jahrhundert in Comics, Science-Fiction-Romanen und sogar dem James-Bond-Film „Der Hauch des Todes“ auftauchte. Der US-amerikanische Technologieunternehmer Elon Musk skizzierte das Konzept und die technischen Details 2013 in einem 57 Seiten umfassenden White Paper. Die Entwicklung selbst überlässt er jedoch anderen Freiwilligen, die die nötige Kompetenz und Motivation dafür mitbringen.

„Elon hat im Grunde die vier Prinzipien des Hyperloops beschrieben: eine unter Unterdruck stehende Umgebung, um den Luftwiderstand zu verringern; eine Schwebetechnik, um die Reibung zu verringern und auf Räder verzichten zu können; ein elektrischer Antrieb statt Lösungen auf Basis fossiler Brennstoffe und ein kapselähnliches Fahrzeug anstelle eines sehr langen Zuges oder eines Flugzeugs“, erklärt Kaveh Hosseini, leitender Aerodynamiker bei Hyperloop One.

Der Hyperloop, der schon als das fünfte Verkehrsmittel (nach Autos, Zügen, Flugzeugen und Schiffen) beworben wird, würde Geschwindigkeiten von bis zu 1.000 km/h erreichen, sodass sich die Reisezeit von San Francisco nach Los Angeles – sonst bei wenig Verkehr eine sechsstündige Fahrt – auf gerade einmal 35 Minuten verkürzen würde.

Doch die Skepsis ist gross. Grundstücksrechte, die Sicherheit, Terrorismus, technische Probleme – alles Themen, die als grosse Hürden angeführt werden. „Der Hyperloop ist eine Idee, die von Futuristen und den Medien mit Begeisterung aufgenommen wird“, sagt Brian D. Taylor, Experte für Verkehrspolitik und -planung an der University of California, Los Angeles. „Doch soweit ich das sehe, reagieren Verkehrsforscher meist nur mit Achselzucken und Augenrollen auf das Thema.“

Dennoch gibt es vier Unternehmen, die sich der Herausforderung von Musk stellen: Hyperloop One, Hyperloop Transport Technologies, Transpod und Arrivo, kürzlich vom ehemaligen Hyperloop-One-Mitarbeiter Brogan BamBrogan gegründet.

Hyperloop One gilt allgemein als das Unternehmen mit dem am weitesten entwickelten System und ist bereits mit Regierungen und Unternehmen in Indien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Finnland und Schweden im Gespräch, die alle die ersten sein wollen, die es in die Praxis umsetzen. Vergangenen Mai absolvierte das Unternehmen in der Wüste Nevadas einen erfolgreichen öffentlichen Test seines Elektroantriebs. Dabei wurde ein speziell gefertigter Schlitten innerhalb von 1,1 Sekunden auf 187 km/h beschleunigt – eine beachtliche Leistung, aber noch lange kein funktionierender Hyperloop. Doch die Entwicklung rast. Hyperloop One plant, bald den weltweit ersten Test in realer Grösse in Las Vegas durchzuführen. Hosseini beschreibt diesen Test als das persönliche „Kitty Hawk“ des Unternehmens. „Dieses Jahr werden wir DevLoop austesten. Das wird unser erster Flug – genau so, wie die Brüder Wright 1903 den ersten motorisierten Flug der Welt in Kitty Hawk absolvierten.“

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