Selbstfahrende Autos bringen die Städte an ihre Grenzen

Wenn fahrerlose Fahrzeuge wirklich etwas bringen sollen, müssen die Städte Vorbereitungen treffen und in Infrastruktur investieren.

Windel- und Lebensmittellieferungen mit 40 km/h. Das Debüt selbstfahrender Autos in Miami war nicht ganz so spektakulär, futuristisch und temporeich, wie von der Science-Fiction prophezeit.

Die Flotte mit einigen Dutzend Lieferfahrzeugen ist ein Gemeinschaftsexperiment von Ford, Walmart und der Stadt Miami und soll Erkenntnisse darüber liefern, wie sich selbstfahrende Fahrzeuge auf die Bedürfnisse der Käufer und Unternehmen in Miami, der Stadtbevölkerung generell und Ford selbst abstimmen lassen. Der Autobauer, der bis 2023 vier Milliarden US-Dollar in den Aufbau einer Flotte mit selbstfahrenden Fahrzeugen investieren wird, hofft, umfassende autonome Beförderungsdienste zu seinem Hauptgeschäftszweig machen zu können. 

Das seit November 2018 laufende Projekt in Miami macht das Potenzial der Technologie deutlich, zeigt gleichzeitig aber auch auf, welche grossen Hürden es noch zu überwinden gilt. 

Nach Meinung von Sherif Marakby, President und CEO von Ford Autonomous Vehicles (FAV), sind die Autos allein nicht der entscheidende Faktor, ob selbstfahrende Fahrzeuge erfolgreich sein werden. Viel wichtiger sei es, wie sich die Städte darauf vorbereiten. Für die Städte bietet sich die grosse Chance, mit selbstfahrenden Autos Staus zu vermeiden und etwas gegen Vermögensungleichheit und andere Problemen zu tun – aber nur, wenn sie die richtigen Systeme bereitstellen. Andernfalls könnten sich die Probleme verschärfen. 

„Für eine Stadt und ihre Bevölkerung bedeutet es grossen Aufwand, ein erfolgreiches System für den Betrieb selbstfahrender Fahrzeuge aufzubauen“, so Marakby. „Wir haben monatelang mit den Behörden in Miami Gespräche geführt, bis wir unser Experiment dort endlich starten konnten.“

Infrastrukturbedarf

Denken wir nur an die vielen Informationen, die das Steuerungssystem eines selbstfahrenden Fahrzeugs benötigt, um sich sicher und effizient durch die Strassen zu bewegen. Das Auto muss auf der Strasse bleiben, darf keine Fussgänger, Autos, Hunde oder andere Hindernisse touchieren. Es muss mit Ampeln, missverständlicher Beschilderung, menschlichen Fahrfehlern, Baustellen und Handsignalen von Polizisten oder Strassenarbeitern zurechtkommen. Zudem muss es unübersichtliche Kreuzungen passieren und an in zweiter Reihe parkenden Autos vorbeifahren.

Damit ein selbstfahrendes Auto die vielen möglichen Gefahren erkennen kann, müssen sein Computer und die KI-Software eine Flut an unbearbeiteten Daten aus den Bordkameras und laserbasierten Abstandsregelsystemen verarbeiten und interpretieren. All das muss in Echtzeit erledigt werden, denn das Fahrzeug hat nur eine oder zwei Sekunden Zeit, die richtige Entscheidung zu treffen. Um die Sicherheit zu gewährleisten, dürfen fahrerlose Autos zunächst nur langsam fahren – sehr langsam. 

Eine Lösung, so Marakby, bestehe darin, einen Grossteil der immensen Lasten durch die Datenerfassung und -verarbeitung auf ein stadtweites, ultraschnelles Sensornetzwerk zu übertragen, das auf der neuen 5G-Mobilfunktechnologie basiert. Statt einer Verarbeitung an Bord könnte ein grosser Teil der vorinterpretierten Informationen, die kritisch für die Fahrzeugsteuerung und Entscheidungen über Anfahr-, Beschleunigungs-, Schalt- und Bremsvorgänge sind, an Computeranlagen ausgelagert werden, auf denen leistungsstärkere KI-Software läuft. Daten aus den Netzwerken würden fortlaufend durch Bilder von Zehntausenden Kameras und Sensoren aktualisiert, die an Strassenlaternen, Gebäuden und anderem Stadtmobiliar angebracht sind. 

Die Remote-Systeme könnten dann helfen, sichere Wege durch die Strassen und den Verkehr zu finden, und die relevantesten Informationen würden sofort an jede Fahrzeugflotte weitergegeben. Dazu gehören Warnungen über Fahrzeuge, die sich im toten Winkel nähern, Umleitungsempfehlungen bei plötzlichem erhöhtem Verkehrsaufkommen und Präzisierungen für missverständliche Signale und Beschilderung. „Je mehr Kommunikation zwischen dem Fahrzeug und der Umgebung stattfindet, desto einfacher hat es das Fahrzeug und desto weniger ist es auf seine eigenen Sensoren angewiesen“, so Marakby.

Bei dem Pilotprojekt in Miami ist jedoch nichts von all dem berücksichtigt. Die Stadt hat sich für eine abgespeckte Lösung entschieden und Fahrgäste aus der Gleichung herausgenommen – stattdessen liegt der Fokus auf Lieferservices. Eine Person durch die vollen Strassen Miamis zu befördern, erfordert viel strengere Sicherheitsmassnahmen und das Haftungsrisiko ist viel grösser, als wenn eine Pizzabestellung ausgeliefert werden soll. 

Miami ist kein Einzelfall. „Es fehlt noch sehr viel Infrastruktur“, so Marakby. Nicht nur die Städte, sondern auch Flottenbetreiber, Versorger und andere Technologieunternehmen sind gefragt und sollten in den Aufbau einer Stadt investieren, die mit selbstfahrenden Fahrzeugen kompatibel ist.

„Infrastruktur muss bei der Stadt anfangen. Aber das kann sie nicht alleine schaffen. Vielmehr sind Partnerschaften nötig.“

Stolpersteine aus dem Weg räumen

Die meisten Experten sind sich einig, dass neben der digitalen Infrastruktur auch physische Infrastruktur wie eigene Spuren nötig ist. Selbstfahrende Fahrzeuge werden vermutlich viel langsamer und vorsichtiger fahren als der Mensch. Es besteht also die Gefahr von Konflikten zwischen Mensch und Maschine, wodurch die Strassen womöglich noch mehr verstopfen.

Marakby geht davon aus, dass die Städte zunächst Spuren für selbstfahrende Fahrzeuge auf mehrspurigen Strassen einrichten werden, bevor sie ganze Strassen nur für selbstfahrende Fahrzeuge freigeben. Irgendwann könnten dann komplette Stadtbereiche wie die überlasteten Innenstädte auf selbstfahrende Fahrzeuge beschränkt werden. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre dann die Einrichtung von Ausstiegsstellen am Strassenrand nur für selbstfahrende Fahrzeuge, damit die Fahrzeuge nicht die Strasse für den fliessenden Verkehr blockieren.

Auch wenn es den Stadtplanern gelingt, diese grossen Herausforderungen zu meistern, müssen sie auch über die vielen potenziellen unbeabsichtigten Folgen nachdenken. Selbstfahrende Fahrzeuge könnten den öffentlichen Verkehrsverbänden Kunden abspenstig machen und Systeme in Gefahr bringen, auf die Millionen Menschen angewiesen sind. Oder aber die selbstfahrenden Fahrzeuge sorgen für noch mehr Verkehr, anstatt ihn zu beruhigen, vor allem, wenn sie im Privatbesitz sind. Es ist schliesslich sehr bequem, sein Auto vom Büro aus auf Botengänge zu schicken. 

Lösungen zu finden, braucht Zeit und geht nur gemeinsam. „Jede Stadt hat ihre eigene Vision für die Zukunft ihrer Infrastruktur“, so Marakby. „Und diese Vision entscheidet darüber, wie es mit dem Thema selbstfahrende Fahrzeuge weitergeht.“