Fenster können mehr, als nur Licht hereinlassen

Das Beheizen und Klimatisieren von Gebäuden verursacht erhebliche CO2-Emissionen. Könnte das einfache Fenster zum nächsten grossen Durchbruch bei den ökologisch nachhaltigen Technologien werden?

Zum Jahresende versammeln sich die Mitarbeitenden von Ubiquitous Energy, einem Unternehmen im kalifornischen Redwood City, in einem von Fenstern gesäumten Konferenzraum, um einen Blick in die Zukunft zu werfen.

Denn diese neuen Glasfronten bieten mehr als nur eine atemberaubende Aussicht auf die kargen Bergketten und den blauen Himmel der nordkalifornischen Landschaft. Ausserdem werden diese Glasfronten als Solarzellen den Strom für die Lampen, die Computer und die Klimaanlagen des Unternehmens liefern.

Nach mehrjähriger Entwicklungsarbeit ist das Strom erzeugende Glas von Ubiquitous eine echte technologische Meisterleistung. Sein Potenzial liegt in den organischen Polymeren zwischen den Glasschichten. Einige lassen das gesamte Licht durch, andere absorbieren nicht sichtbare Infrarot- und UV-Photonen. Wenn Licht durch das Fenster fällt, entsteht durch das Fliessen der Elektronen zwischen den Polymerschichten elektrischer Strom, der durch mikroskopisch feine Drähte im Glas aufgenommen wird. 

„Man kann es sich wie ein transparentes Computer-Display vorstellen, nur anders herum“, erklärt Veeral Hardev, Director of Business Development bei Ubiquitous Energy. Das heisst, hier wird die Elektrizität nicht zu verschiedenen Punkten geleitet, um ein Display zu erleuchten, sondern das Licht erzeugt Strom, der von verschiedenen Punkten des Fensters eingesammelt wird.

Derzeit produzieren die Fenster aus einer beliebigen Menge Sonnenlicht etwa ein Drittel so viel Elektrizität wie handelsübliche Solarzellen auf Dächern und sind etwa halb so transparent wie normales Glas. 

Aber diese technischen Daten reichen bereits aus, um die Fenster zu einem konkurrenzfähigen Produkt zu machen, so Hardev, der ausserdem davon ausgeht, dass das Unternehmen die Transparenz noch erheblich verbessern wird. Auch wenn Fenster weniger Energie produzieren, so könnten sie doch eine viel grössere Oberfläche abdecken als ein Dach. Die Stromerzeugung, die ein ganzes Dach voller Solarzellen mit höherer Kapazität liefert, werde also allein schon durch die Zahl der Fenster weit übertroffen. „Man kann auch beides machen“, so Harvey. „Aber von den Fenstern hat man mehr.“

Die grösste Herausforderung liege darin, die Fenster von derzeit weniger als 0,18 Quadratmetern auf etwa 4,7 Quadratmeter zu vergrössern, fügt er hinzu.

Durchsichtiger als Glas

Die Revolution der Fenster ist lange überfällig.

Seit die Metropolen ihre Leidenschaft für Hochhäuser wiederentdeckten, sind die glänzenden Türme in jeder Stadt fester Bestandteil der Skyline. Das Glas, aus dem sie gebaut sind, hat sich indessen kaum weiterentwickelt.  

Ein grosses Problem stellt die Temperaturkontrolle dar. In den USA fallen 18 Prozent der Energieausgaben auf die Beheizung und Klimatisierung von Gebäuden. Angaben des Lawrence Berkeley National Laboratory zufolge wird unter diesen Voraussetzungen über die Hälfte des Geldes regelrecht zum Fenster hinausgeworfen – wenn es kalt ist oder wenn die Wärme im Sommer zurück in die klimatisierten Gebäude gelangt.

Um sowohl die Isolierung als auch die Wärmereflexion zu verbessern, ohne dabei die Sicht einzuschränken, entwickelt das Unternehmen Mackinac Technology in Michigan eine dünne Scheibe aus mehreren Lagen beschichteten Kunststoffs, die über das normale Fensterglas gelegt wird. Zwischen den Kunststoffschichten befindet sich Luft, wodurch die Isolation verstärkt wird. Die Beschichtung reflektiert Infrarotstrahlen – sie liefern die meiste Wärmeenergie – , lässt aber sichtbares Licht durch.

CEO John Slagter findet, dass das Fenster von Mackinac tatsächlich klarer ist als Glas. Das Geheimnis liegt in der unsichtbaren Beschichtung, die dafür sorgt, dass die Kunststoffoberfläche weniger Licht reflektiert als Glas. Dies wiederum erhöht den Anteil des Lichts, das durch das Fenster dringt, sodass es klarer wird. 

Eine solche am Rahmen des vorhandenen Fensters befestigte Scheibe kann das Isoliervermögen jeder Einfach- oder Doppeltverglasung vervierfachen, ist jedoch immer noch leicht genug, um das Gewicht des Fensters nicht massgeblich zu erhöhen. 

Das Material wurde bereits erfolgreich an Fenstern der Calvin University in Grand Rapids (Michigan) getestet, so Slagter. Grössere Pilotprojekte sind noch geplant, bevor das Produkt unter anderem dank der Förderung durch US-Regierungsbehörden ab 2022 allgemein verfügbar sein soll.

Eine Frage von Licht und Dunkel

Bisweilen ist grosse Klarheit eher ein Problem als eine Lösung – nämlich immer dann, wenn die nach Süden gerichteten Fenster eines Gebäudes so viel Sonne durchlassen, dass sie blendet.

„Helles Sonnenlicht kann zwar einen Raum zusätzlich beheizen, aber die Menschen arbeiten nicht gern in der prallen Sonne und können vielleicht ihren Monitor nicht mehr erkennen“, so Michael McGehee, Materialforscher an der University of Colorado in Boulder. „Meist schliessen Sie dann die Jalousien. Dann sitzen sie im Dunkeln und haben nichts von der Aussicht und den Vorteilen des Sonnenlichts.“

Um das Sonnenlicht zu erhalten, aber das Blenden zu eliminieren, arbeitet McGehees Gruppe an der Optimierung „elektrochromer“ Fenster. Sie wollen ein Fenster entwickeln, das sich über einen Schalter verdunkeln lässt, um das störende Blendlicht herauszufiltern und genau so viel Sonnenlicht durchzulassen, dass man sich wohl fühlt. Zu diesem Zweck erhalten McGehees Fenster eine Schicht aus einer Indium-Zinnoxid-Schicht mit Platin und eine weitere aus Nickeloxid, zwischen denen sich eine Lithium-Lösung befindet. Wenn eine geringe Spannung zwischen den zwei Schichten fliesst, fungieren sie als Elektroden und produzieren ein elektrisches Feld, das die Lithium-Ionen veranlasst, sich durch die Lösung zu bewegen und sich an die Nickeloxid-Schicht zu heften.

Während das Lithium in der Lösung zunächst transparent ist, wird es durch die Verbindung mit dem Nickeloxid halbmatt. „Sie brauchen lediglich eine 10 Nanometer dicke Schicht Lithium auf der Elektrode, um das meiste Licht zu blockieren“, so McGehee. Das Ergebnis ist ein Fenster, das wie eine „Sonnenbrille für Gebäude“ funktioniert, wie er es ausdrückt. Darüber hinaus kann durch eine Veränderung der Voltzahl ein bestimmter Grad der Verdunkelung eingestellt werden. 

Wenn diese Fenster am Markt Erfolg haben, könnten sie in ein bis zwei Jahrzehnten zu einem wichtigen Bestandteil smarter Städte werden, die sowohl komfortabel als auch ökologisch nachhaltig sind. Das wäre auch ein Schritt dazu, den CO2-Fussabdruck des Menschen auf Null zu reduzieren.