Wirtschaft ist Trumpf: Wie die Nachhaltigkeitsdebatte zu gewinnen ist

Christiana Figueres war die treibende Kraft hinter dem historischen Pariser Klimaschutzabkommen. Doch die Arbeit der ehemaligen Chefin des UN-Klimasekretariats ist noch lange nicht getan, erzählt sie mega.

Christiana Figueres Ideen auf einem Fenster ©mega/Natsuko Waki

Nach einer fünfwöchigen Reise, die sie nach Chile, Hongkong, Peking, Kalifornien und Brüssel führte, befindet sich Christiana Figueres gerade auf einer ihrer seltenen Stippvisiten in ihrem Zuhause in Zentral-London.

Beim Betrachten der Worte, die sie auf dem Fenster (das gleichzeitig als Whiteboard fungiert) in ihrem Empfangszimmer notiert hat – „2020“, „Meilensteine“, „Optimismus“ – wird klar, dass die ehemalige UN-Klimachefin und Architektin des historischen Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 damit rechnet, bald wieder die Werbetrommel für ihre Sache zu rühren.

Seitdem sie ihre einflussreiche Rolle bei den UN aufgegeben hat, scheint die temperamentvolle Diplomatin aus Costa Rica sogar zu einer noch streitbareren Akteurin im globalen Kampf gegen den Klimawandel geworden zu sein.

Mit dem Programm Mission 2020, das sie heute leitet, möchte Figueres Unternehmen, Investoren und Politiker weltweit zu einer drastischen Reduktion der Treibhausgasemissionen bewegen. Der Schlüssel zum Erfolg ihrer Kampagne, so Figueres, seien nicht so sehr die wissenschaftlichen, sondern vielmehr die wirtschaftlichen Argumente, die für sie sprächen.

„Die Dekarbonisierung der stagnierenden Weltwirtschaft ist die Chance des Jahrhunderts, dem Wachstum auf die Sprünge zu verhelfen. Wenn wir ernsthaft in neue Technologien, Infrastruktur und Verkehrslösungen investieren, mit denen wir besser für den Klimawandel gewappnet sind, wird die Wirtschaft florieren und Millionen von Arbeitsplätzen schaffen“, sagt sie.

Die Zahlen geben ihr recht. Die Internationale Organisation für erneuerbare Energien schätzt, dass Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz die Weltwirtschaft bis 2050 um 19 Billionen USD reicher machen und 6 Millionen Jobs schaffen würden.

Die Dekarbonisierung der stagnierenden Weltwirtschaft ist die Chance des Jahrhunderts, dem Wachstum auf die Sprünge zu verhelfen.

Es sagt viel aus, dass China, Indien und andere Schwellenländer, die nach westlichen Wirtschaftsstandards streben, einige der couragiertesten Initiativen weltweit zur Förderung erneuerbarer Energien gestartet haben. „Keines dieser Länder tut dies aus reiner Nächstenliebe oder um den Planeten zu retten. Was sie antreibt, sind einzig und allein die Kräfte des Marktes: Kosten reduzieren, Effizienz steigern und hohe, sicherere Renditen erzielen.“

Zeitfenster von drei Jahren

Figueres betont, dass die nächsten drei Jahre entscheidend sind, wenn die Menschheit den Klimawandel noch aufhalten will.

Warum? Weil es für den Fall, dass die Emissionen nach 2020 weiter ansteigen oder auch nur auf dem gleichen Niveau bleiben, nahezu unmöglich sein wird, die globale Erderwärmung auf „deutlich unter 2 Grad“ zu beschränken, wie es der Kern des Pariser Übereinkommens vorsieht.

Diesen Stichtag einzuhalten, ist auch von entscheidender Bedeutung, um die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der UN – die Agenda der Organisation für eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Welt bis 2030 – zu erfüllen.

„Ob manche der SDGs erreichbar sind, entscheidet sich grösstenteils bis 2020 – oder zumindest, zu welchen Kosten sie erreichbar sind. Natürlich können wir die Dekarbonisierung zu deutlich höheren Kosten umsetzen – sowohl in finanzieller als auch in sozialer Hinsicht – doch wir wollen versuchen, den Weg zu finden, mit dem die wenigsten Kosten und die wenigsten Turbulenzen für die Weltwirtschaft entstehen“, sagt Figueres.

Sie berät nicht nur Regierungen und Politiker, sondern möchte auch Vermögensinhaber und wohlhabende Familien davon überzeugen, dass Investitionen in eine klimafreundliche Wirtschaft eine attraktive Gelegenheit bieten – das jedoch nur noch in den nächsten drei Jahren.

„Danach werden sie zu einer sehr dringenden Notwendigkeit, die mit hohen Kosten verbunden sein wird“, sagt sie. „Nicht gegen den Klimawandel aktiv zu werden, stellt ein ernsthaftes Risiko dar. Denen, die jetzt aktiv werden, winkt dagegen eine hohe Belohnung. Vermögensinhaber sollten sich fragen, ob sie Teil des Problems oder Teil der Lösung sein wollen – beides gleichzeitig geht nicht.“

Die nächste Generation und dreifache Rendite

Die Dekarbonisierung erfordert ohne Zweifel enorme Investitionen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung schätzt, dass die Investitionen in grüne Infrastruktur zwischen 2012 und 2030 auf jährlich 2 Billionen USD – 2 Prozent des weltweiten BIP – verdoppelt werden müssen, damit die Wende gelingt.

„Das heisst nicht, dass neue Mittel nötig sind. Das Kapital ist da. Es muss nur in klimafreundlichere Bahnen umgelenkt werden“, sagt Figueres.

Eine Möglichkeit, diese Finanzlücke zu schliessen, so Figueres, seien Investitionen in grüne Anleihen – festverzinsliche Produkte, die an umweltfreundliche Projekte geknüpft sind. Mit solchen Anleihen, die von Organisationen und Unternehmen wie der Weltbank, der Stadt Johannesburg und Apple ausgegeben wurden, kamen 2016 mehr als 80 Milliarden USD von klimabewussten Investoren zusammen – mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr, doch immer noch nur ein Bruchteil am Gesamtmarkt für festverzinsliche Produkte.

Der Markt für grüne Anleihen boomt und zieht immer mehr junge klimabewusste Investoren an.

„Die nächste Generation hat grosses Interesse an Impact Investing und möchte ihr Portfolio nicht allein von der Rendite diktieren lassen“, sagt Figueres. „Heute geht es darum, eine dreifache Rendite zu erzielen – eine finanzielle, eine ökologische und eine soziale – und Unternehmen zu gründen, die einen Zweck verfolgen... Es findet gerade ein grosser Umbruch im unternehmerischen Selbstverständnis statt.“

Zwar begrüsst sie, dass sich die Finanzindustrie beim Aufbau ihrer Investmentportfolios Standards in Sachen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environment, Social, Governance – ESG) auferlegt, doch sie ist der Meinung, dass die Branche noch viel mehr tun kann.

Heute geht es darum, eine dreifache Rendite zu erzielen... Es findet gerade ein grosser Umbruch im unternehmerischen Selbstverständnis statt.

„Ich befürchte, dass das Thema ESG oft nur schmückendes Beiwerk ist: Hier, Seite 67 des Jahresberichts, ein Absatz darüber, was das Unternehmen in puncto ESG unternimmt. Aber das reicht einfach nicht“, sagt sie.

„Das Engagement muss weit darüber hinausgehen. Der Emissionsausstoss und die Umstellung von emissionsintensiv auf emissionsarm müssen auf Seite 1 stehen.“

Klimafreundlicherer Luft- und Schiffsverkehr

Figueres scheint unbeeindruckt von der Ankündigung der US-Regierung, sich aus dem Pariser Klimaabkommen zurückziehen zu wollen. „Man muss zwischen dem Weissen Haus und der US-Wirtschaft unterscheiden. Die zwei grossen Hebel, die die Dekarbonisierung in Gang setzen können, sind die Städte und die Unternehmen, und sie wollen beide handeln. Selbst wenn die USA beschliessen, aus dem Abkommen auszuscheiden, ändert das nichts am Kurs der Weltwirtschaft.“

Und tatsächlich: Seit der Ankündigung aus dem Weissen Haus haben mehr als 2.500 US-amerikanische Städte, Bundesstaaten, Unternehmen und Universitäten einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie ihr Engagement für die Ziele des Pariser Klimaabkommens bekräftigen.

Zudem werden auch ausserhalb des Pariser Rahmenwerks Initiativen zur Reduktion der CO2-Emissionen gestartet.

Im Oktober 2016 erzielte die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) der UN ein vorläufiges Übereinkommen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen in der Luftfahrtbranche, die als Quelle von Luftverschmutzung eine immer stärkere Rolle spielt. Das neue ICAO-System wird nach seiner Einführung das erste Instrument sein, das die Emissionen in einer Branche weltweit beschränkt und gleichzeitig nicht zu spürbar höheren Kosten für die Verbraucher führt. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation verfolgt ähnliche Ziele für den Schiffsverkehr.

Unmöglich ist keine Tatsache – es ist eine Einstellung. Wir müssen unseren mentalen Chip austauschen.

Figueres hatte seit ihrem Amtsantritt als UN-Klimachefin 2010 auf ein solches Übereinkommen für die Luftfahrt gepocht. Dies liegt zum Teil vielleicht auch daran, dass sie sich ihrer eigenen Klimabilanz schmerzlich bewusst ist: Als Vielfliegerin ist sie rund um den Globus unterwegs, um an Konferenzen teilzunehmen. „Meine Todsünde sind eindeutig die Flüge“, räumt sie ein, fügt aber hinzu, dass sie sich, wann immer möglich, für klimaneutrale Flugangebote mit CO2-Ausgleich entscheidet.

Zur Fortbewegung abseits der Wolken besass Figueres früher einen Toyota-Prius-Hybrid, inzwischen nutzt sie jedoch öffentliche Verkehrsmittel. „Ein eigenes Auto zu besitzen, ist heute immer weniger zeitgemäss. Das ganze Konzept von Autos als Statussymbol spricht die nächste Generation nicht mehr an. Bahn und Bus sind als Alternative viel einleuchtender.“

Auf die Frage, was sie angesichts all der Herausforderungen, vor denen sie steht, als die grösste Hürde für die Umsetzung ihrer Ziele ansieht, antwortet sie:

„Die Hürde ist hier drin“, und zeigt auf ihren Kopf. „Wir sind in der Lage, die Politik zu verändern, einen finanziellen Wandel zu bewirken und neue Technologien einzuführen. Wir müssen es nur wollen. Unmöglich ist keine Tatsache – es ist eine Einstellung. Wir müssen unseren mentalen Chip austauschen. Dafür setzen wir uns ein, indem wir den Menschen vor Augen führen, dass sich hier eine einmalige Chance bietet.“

Bild ganz oben „Hokkaido Cape Notoro“ © Masatoshi Konishi (lizenziert unter CC BY 4.0)